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Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Titel: Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer&Meyer GmbH & Co.KG
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nicht ganz maßstabsgetreu. Und ging von Höhlen aus, von denen ich rein gar nichts wußte.
    Stanislau war wenig beeindruckt. Beide blieben wir skeptisch, ob wir unsere Ideen und unsere Planungen tatsächlich zusammenwerfen sollten. Aber da bislang noch keiner von uns den entscheidenden Schritt unternommen hatte, begann uns zu dämmern, daß wir es allein nie wagen würden. Und das gab den Ausschlag.
    »Man bräuchte etwas zur Orientierung unter Wasser«, sagte Stanislau, während wir an der Uferböschung saßenund auf den schmutzig braunen Tümpel blickten. Von allen Seiten war hochfrequentes Froschquaken zu hören. Hin und wieder plumpste etwas ins Wasser. Stanislau bereitete eine Belamorkanal vor. Die Kunst bestand darin, ihren mehrere Zentimeter langen Zigarettenfilter so umständlich zu knicken, daß der beißende Gestank und die unbeschreibliche Hitze in der Röhre keine größeren Schäden beim Konsumenten anrichteten. Stanislau war geschickt, er schien wirklich einige Übung darin zu haben, knack, knack, knack, fertig war er, er sah kaum hin dabei.
    »Stell dir vor, es sind richtig viele Höhlen, so richtig viele, und die zweigen hier ab und dort ab, wie schnell du die Orientierung verlierst. Und dann weißt du irgendwann auch gar nicht mehr, in welcher Richtung hier ist und in welcher Richtung – «
    »Polen!«
    » – drüben.«
    Die Zigarette flammte mit einem leisen Knistern auf.
    »Kennst du Jules Verne?«
    »Sprinter?« fragte ich.
    Stanislau sah mich beunruhigt an. Dann zog er aus seiner Sporttasche ein Buch: Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer. Von Jules Verne. Ich wunderte mich. Ganz so tief, dachte ich, würde es im Polentümpel nicht runtergehen.
    Stanislau erzählte mir von Kapitän Nemo, von der zu erwartenden Unterwasserwelt. Und dann zeigte er mir seine Zeichnungen, die zumindest maßstabsgetreu schienen. Über Tauchbrille, Kompaß und Messer war er bislang mit seiner Ausrüstung nicht hinausgekommen. Von Großpapa und Onkel Janka unterstützt, steuerte ich eine Sauerstoffflasche sowie zwei Atemschutzgeräte nebst Schläuchen bei; »vom Zug gefallen, Janka hat sie mitgenommen, bevor sie nochjemand stiehlt«, sagte Großpapa, schneuzte sich ergiebig und schüttelte das Taschentuch aus.
    Als Taucheranzüge sollten uns alte Kunstlederflicken dienen, die wir aufs Geratewohl aneinandergenäht hatten. Sie waren einigermaßen warm und saugten sich nicht voll. Zwei Monate waren über dieser Arbeit vergangen.
    Stanislau hatte eine sieben Jahre jüngere Schwester, die er seit kurzem immer zu unseren Treffen mitbrachte. Hinten, auf dem nur noch an zwei Schrauben befestigten Gepäckträger seines Fahrrads saß sie, klein und pummelig, ganz das Gegenteil ihres schon beinahe männlich wirkenden Bruders. Eigentlich störte sie nicht, ich nahm sie kaum wahr, bei keiner Zusammenkunft dieser Tage hätte ich sagen können, ob Jadwiha wirklich bei uns war oder nicht. Sie mußte mit von der Partie gewesen sein, weil sie buchstäblich immer da war, aber sie war nicht zu bemerken, saß still auf ihrem Platz und spielte mit ihrer Stoffpuppe, sprach nicht, antwortete nicht, wenn sie gefragt wurde, verriet uns aber auch nie.
    Trotzdem quengelte ich ein ums andere Mal.
    »Ehrlich, Stas, muß das sein? Ich nehm meine Tantchen ja auch nicht überallhin.«
    »Ja, ich soll auf sie aufpassen. Es geht ihr nicht gut.«
    Es ging Jadwiha nie gut. Sie war entweder krank oder verzweifelt. Dabei war sie gerade einmal sechs Jahre alt.
    »Ist es so schlimm, daß sie da ist?«
    »Auf einer Skala von eins bis zehn, eins harmlos, zehn schlimm«, immer öfter drückte ich meine Empfindungen nun in Zahlen, auf Skalen aus, »so um die sieben.«
    »Sieben ist gut. Damit kann ich leben«, sagte Stanislau und knickte einen neuen Zigarettenfilter. Siebenmal.
    In den folgenden Wochen waren wir Tag für Tag am Tümpel und verbesserten unsere Ausrüstung. Die Tests fielen zuunserer Zufriedenheit aus, wir versuchten, im Flachwasser mit dem Kopf nach unten zu atmen. Als das überraschend gut funktionierte, unternahm Stanislau kleine Tauchgänge ins Tiefere, auch um zu sehen, ob unsere Ledermontur hielt. »Positiv«, kommentierte er den Vorgang, aber er schlotterte, obwohl es noch nicht spät im Jahr war.
    Aber doch spät genug. Eines Tages sagte er, wir müßten den Tauchgang in den Frühling verschieben. Das Wasser würde zu kalt werden, die Ausrüstung sollten wir auch noch einmal überprüfen, und außerdem mache ihm Jadwiha Sorgen. Ich war

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