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Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman

Titel: Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer&Meyer GmbH & Co.KG
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Nebenrollen abfinden. Doch nicht ich war es, bei dem man nun mit allem rechnen mußte, der sich den Anschein gab, stets auf dem Sprung zu sein, morgen ein Telegramm aus Deutschland, übermorgen eine Postkarte aus diesem goldenen Luxemburg zu schicken (falls es dort überhaupt so etwas wie Postkarten gäbe, Postkarten setzten ein anständiges Bildmotiv voraus, gefressenes Geld war keines). Ich spürte, wie sich alles in mir auf Distanz justierte. Weib, ich kenne ihn nicht. Mensch, ich bin’s nicht.
    Immer seltener kam ich zu Besuch ins Hotel.
    Auch Großpapa kam immer seltener zu Besuch. Als meine Kopfschmerzen einmal für Wochen ausblieben, fragte ich mich, wo er sich herumtrieb. Würde auch er die Huren heimsuchen in den Pester Vorstädten? Berge von unten, Bordelle von innen, Kirchen von außen. Oder hatte er sich das neue Gebäude, das an der Stelle seines Vaterhauses stand, als Ort für seinen Spuk auserkoren? Das wäre sicher kein Spaß, kein Spaß, in einem Baumarkt zwischen Vorschweißflansch und Estrichkleber zu spuken.
    Im ganzen Land begann sich die Stimmung zu verändern. Die sogenannten Christkonservativen hatten versprochen, das heilige Ungarn wiederzuerrichten. Einer ihrer Staatssekretäre schwadronierte, die DNS der menschlichen Rasse weise zwei bis drei Drehungen auf, die der ungarischen dagegen neun, was mit der Drehzahl des vom Planeten Sirius auf die Erde strahlenden Lichts identisch sei. Aus dieser Tatsache resultiere der kosmische Ursprung der ungarischen Intelligenz, und darauf gehe die Auserwähltheit des ungarischen Volks zurück.
    Ich staunte. Bislang hatte die heiligmäßige Instandsetzung Ungarns bedeutet, unwirtschaftliche Betriebe in den Konkurszu fahren, so daß das neuentstandene Heer der Arbeitslosen von Ferencváros wilde Jagd auf alles machte, was nur entfernt nach Zigeuner aussah. Die Bordsteinkanten eigneten sich hervorragend, um Zahntrophäen zu gewinnen. Survival of the fittest. Die besten Springerstiefel waren immer noch die aus Deutschland.
    Immer häufiger verschwieg ich, woher ich stammte. Die Abrechnung mit den Russen würde erst recht unerbittlich werden.
    Budapest hatte mich an den Eiern gepackt. Ich hatte gehofft, einmal romantisch das Mann-Frau-Spiel spielen zu können. Fehlanzeige. Stattdessen Flatrate-Vögeln: Ich kannte die Pester Vorstädte. Flatrate-Fühlen: Ich kannte die dreifach gepiercte Zunge von Ilona, meiner Bäckereiverkäuferin. Die mit ihren Broten sprach. Die Angst um ihre Nasenschleimhäute hatte und Koks statt zu schnupfen ins Zahnfleisch rieb. Die auf Oralsex bestand und mir unsäglich auf die Nerven ging, mit ihrer Gebärdensprache in allesfaszinierendfindender Affektiertheit, wenn sie über Designkleider und Designkatzen monologisierte. Wir waren Ochs und Esel, in einem Pferch gelandet. Urbane Künstlichkeit 1994. Als die ersten Stare des Jahres gegen meine Dachgeschoßfenster donnerten, wurde Ilona mein Schlafplatz in der Stadtmitte. Eine kernige Line Koks vor dem Sex, eine perlende Line Zahnpasta danach. Hauptsache, das Maul war voll und eignete sich nicht zum Quatschen.
    Das Ende bereitete sich auf einer Party vor. Als Gábor und ich im Studentenwohnheim anlangten, war das Gelage bereits in vollem Gang. Die ganze Stadt zog sich an schattige Plätzchen an der Donau zurück, nur wir flüchteten uns in die brackig werdende Hitze eines Kellers. Und dann auch nochein Kostümfest!, dachte ich, als mein Blick auf Frösche und Ritter, auf Hitler und Schneeflöckchen fiel. Gábor hatte sich als Strauch verkleidet, als getrimmter Taxus. Bestimmt hatte er den ganzen Tag über in Klärchens Vorgarten gesessen und Grünzeug zurechtgeschnitten.
    »Schnucki«, lobte ihn eine Fette, die sich in eine hellgrüne Elfen-Pelle gezwängt hatte und in einen Pfirsich biß, »dich stell ich in meinen Garten, was kostest du?«
    Das Fruchtfleisch stand ihr bis zum Oberkiefer und der schimmernde Saft tropfte ihr auf das ausladend geschnittene Lätzchen.
    »Greif zu«, antwortete Gábor, »wir sind so hoch verschuldet, ich kann mir mich schon lange nicht mehr leisten.«
    »Und was stellst du dar?« fragte mich das Elfchen und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Ich war, wie immer, in Schwarz gekleidet, aber ich hatte mir für den Anlaß zentimeterdick Kajal unter die Augen geschmiert.
    »Ich? Ich bin der Antichrist.«
    »Was du nicht sagst. Mach doch mal sowas wie ein Wunder!«
    »Dafür bin ich nicht zuständig. Nur für Kartellbildung. Und die neoliberale

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