Olafur Davidsson 02 - Herbstwald
passiert?«
»Sie wurde ermordet.«
»Was?«
»Sie wurde von einem Nachbarn in ihrer Wohnung in der Fuggerei tot aufgefunden. Sie hat ihm geholfen, mit dem Leben besser zurechtzukommen.« Davídsson hatte den letzten Satz gesagt, ohne es zu wollen. Er war unwillkürlich aus ihm herausgekommen, und jetzt bereute er es.
»Lea war immer schon die Bessere von uns beiden.«
»Ihr Freund hat dich als Streber bezeichnet«, sagte Davídsson nach einer Weile. Er dachte an das, was Ricardo Gollas über Martin gesagt hatte. Jetzt zweifelte er daran, dass es stimmte.
»Rico hat mich ständig deswegen gedisst. Irgendwann hat der Arsch mal geschnallt, dass ich auf dem Gymnasium war, und von da an war ich für ihn nur noch ›Der Spießer‹. Klar, dass dann natürlich auch mein Style shit ist und dass ich nur ein blöder Faker bin. Nicht jeder kann halt Holzfäller werden und auf die Baumschule gehen und damit glücklich werden.«
»Ihr konntet euch also nicht gerade leiden.« Ólafur Davídsson fasste für sich zusammen, was er verstanden hatte. Er konnte mit den Jargon-Begriffen nichts anfangen. Das Ganze war für ihn wie eine Fremdsprache, die er nicht beherrschte.
»Wie oft warst du bei ihr in Augsburg?«, fragte er schließlich.
»Drei … vier Mal.«
»Wusstest du, warum sie dort gewohnt hat?«
»Sie wollte vom perfekten Law-And-Order-Alten weg, wie ich auch, nehme ich an.«
»Ihr habt nie darüber gesprochen, warum sie da in der Fuggerei wohnte?«
»Nee. Ich habe mich auch gewundert, warum sie in so einem Altersheim eingezogen ist. Irgendwie wars aber auch tight.«
»Hör auf mit dem verdammten Slang.« Davídssons Fuß schmerzte immer noch und er wollte die Sache schnell zu Ende bringen.
»Kam es dir nicht seltsam vor, dass Rico deine Schwester nicht mit Lea, sondern mit Catharina angesprochen hat?«
»Sie wollte nicht, dass der Trottel wusste, dass sie die Tochter von Mister Innenminister war.«
»Hat sie dich angerufen?«
Er nickte.
»Hast du da noch zu Hause gewohnt?«
»Nee. Bin mit achtzehn abgehauen. Ist schon irre, dass wir in miesen Sozialwohnungen hausen müssen, während unser Alter die fette Kohle abgreift.«
»Und wann brach der Kontakt zu ihr ab? Als sie mit Rico zusammengekommen ist?«
»Plötzlich war mein braves Schwesterherzchen nicht mehr so einsam.« Er zwinkerte mit dem Auge und grinste dabei.
»Hat dich mal jemand nach ihr gefragt?«
»Nee. Mein Alter weiß nicht, wo ich wohne, und außerdem interessiert sich keine Sau für uns. Solange Lea schön brav in Frankfurt studiert hatte, hat mein Alter wenigstens für sie Geld lockergemacht. Davon hat sie mir dann immer etwas abgegeben, aber als sie plötzlich ihr Studium abgebrochen hat, war es aus mit den Moneten.«
»Sie war im Zeugenschutzprogramm und hat vor Gericht gegen die japanische Mafia ausgesagt. Deshalb ist sie unter falschem Namen nach Augsburg in die Fuggerei gezogen. Sie musste plötzlich ihr altes Leben aufgeben.«
»Oh Mann, das ist heftig.«
»Bist du dir absolut sicher, dass du niemandem etwas gesagt hast?«
Martin Schirmer-Lunz richtete sich auf und setzte sich zu Davídsson, der am Fußende Platz genommen hatte.
»Wenn ich gesoffen habe, weiß ich nicht, was ich mache oder sage.« Er kratzte sich ein paarmal am Hinterkopf. »Hoffentlich bin ich nicht an ihrem Tod schuld«, flüsterte er schließlich mit belegter Stimme.
»Ja, das hoffe ich auch.«
17
D rei Tage später saßen sie zu einer Besprechung in Davídssons Hotelzimmer. Gegen Kriminalhauptkommissar Hofbauer waren Ermittlungen vom Fachdezernat Amtsdelikte eingeleitet worden, nachdem er sich dort selbst angezeigt hatte. Als Folge dieser Anzeige war er sofort vom Fall abgezogen worden und Kriminalkommissar Schedl hatte die Leitung übernommen.
Ólafur Davídsson hatte eine Vorladung bekommen, die jetzt zusammengefaltet auf dem ovalen Schreibtisch lag. Er musste am Nachmittag als Zeuge im Polizeipräsidium aussagen.
Sein Fuß war immer noch angeschwollen und schmerzte, aber er hatte sich geweigert, deshalb ins Krankenhaus zu gehen. Bisher war es ihm jeden Tag gelungen, einen Schuh über den Verband zu ziehen, den ihm ein Sportmediziner noch in der gleichen Nacht angelegt hatte. Der Verband musste jeden Tag gewechselt werden und er hatte gesehen, wie sein Fuß nach und nach andere Farben annahm. Noch fiel ihm das Gehen schwer, aber er konnte sich einigermaßen fortbewegen, wenn er den Fuß kaum belastete.
Elisabeth Hübner war von Lilian Landhäuser
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