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Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman

Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman

Titel: Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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mutig sie war! Sie war am Ufer, an der Seite der Brücke, hinaufgestiegen und blickte sich nun vorsichtig um, ob der Weg frei sei. Kannte sie denn überhaupt keine Angst? Oleg schämte sich, dass er selbst so furchtsam war. Ängstliche Menschen konnten niemals tapfere Soldaten werden. Er nahm sich vor, keine Angst mehr zu haben. Plötzlich heulten in Leningrad die Sirenen. Aus der Ferne klangen sie noch unheilvoller als aus der Nähe. Danach hörte Oleg das eintönige Dröhnen einer Bomberstaffel. Wieder ein Luftangriff?
    Nadja glitt hastig abwärts. Ihr Mantel war voller Schnee. »Wir haben Glück!«, sagte sie aufgeregt. »Während die Flugzeuge hier herüberfliegen und die Stadt angreifen, wird auf uns keiner achten.«
    Oleg nickte, aber schön war es nicht, auf diese Weise Glück zu haben. Wie viele Bomben würden gleich auf Leningrad niedergehen!
    Das Dröhnen am Himmel kam näher. In der Ferne begannen Flakgeschütze zu feuern. Oleg hoffte, dass sie trafen – wenn es auch eine schreckliche Vorstellung war, dass Menschen in einer brennenden Maschine vom Himmel stürzten.
    Ohrenbetäubend krachten die Abwehrgeschütze in den nahen Stellungen.
    »Komm!«, sagte Nadja. Sie streckte ihm die Hand entgegen.So rasch sie konnten, liefen sie am Ufer entlang weiter. Der Abstand zwischen ihnen und der Brücke wurde immer größer. Hinter ihnen schossen Kanonen und Maschinengewehre: ein Hexenkessel von Lärm. »Wir haben Glück!«, hatte Nadja gesagt. Vielleicht hatte sie wirklich recht, denn nun konnten sie die Stadt und die Stellungen unbemerkt weit hinter sich lassen. Aus Leningrad, wo Olegs Mutter einsam im Bett lag, hörte man jetzt schwere Explosionen.
    Oleg rannte Nadja nach. Er wollte an gar nichts mehr denken. Das Einzige, was noch zählte, waren die Kartoffeln, die an einer verlassenen Stelle im Niemandsland eingemietet lagen. Oleg sah den kleinen Hügel schon vor sich – mit Blättern und einer dicken Schicht Stroh und Sand zugedeckt. Er sah das Loch, das er graben würde, und dann . . . Tausende von Kartoffeln – wie Murmeln in einem Erdloch!
    Oleg saß neben Nadja im Schnee. Von der Brücke an waren sie eine gute Stunde gelaufen. Leningrad und die russischen Stellungen rund um die Stadt waren hinter dem sich senkenden Land aus ihrem Gesichtsfeld verschwunden. Auf dem Weg waren die beiden an einem niedergebrannten Bauernhof vorbeigekommen. Sie hatten dort ein wenig herumgeschnüffelt, aber nichts Essbares gefunden. Auf dem leer geräumten Hofplatz lag eine umgestürzte Hundehütte. Oleg hatte sich gefragt, wo der Hund geblieben sein mochte. Ob er noch lebte? Oder hatten die Deutschen ihn erschossen? Die umgestürzte Hundehütte hatte seine Fantasie stärker angesprochen als die verkohlten Balkendes Bauernhauses. Verkohlte Balken sah er in Leningrad alle Tage.
    Ohne viel zu reden, hatten sie ihren Weg fortgesetzt. Es ging sich schwer auf dem harten, aufgewühlten Boden – und immer gegen den eisigen Wind. Olegs Lippen waren aufgesprungen und eine Stelle an seinem Oberschenkel war wund gescheuert von dem harten Stoff der Hose.
    Sie gingen jetzt immer langsamer, denn auch Nadja war inzwischen müde geworden. »Lass uns eine Weile ausruhen«, sagte sie. Gegen den Durst ließen sie ein wenig Schnee im Mund zergehen. Vielleicht half das auch ein bisschen gegen den Hunger.
    »Ist es noch weit?« Oleg stellte diese Frage wohl zum zehnten Mal.
    »Es kann nicht mehr weit sein«, entgegnete Nadja. Sie zeigte auf eine Baumreihe in der Ferne. »Dort muss es sein.«
    Es war noch ein tüchtiges Stück. Da aber das Ziel bereits zu sehen war, fasste Oleg wieder Mut. Der Heimweg würde leichter sein. Da hatten sie den Wind im Rücken. Außerdem hatten sie die Kartoffeln bei sich, die sie nach Haus bringen wollten. Mit der kostbaren Beute würde das Laufen leichter werden. Unter der Mütze hervor warf Oleg Nadja einen Blick zu, die sich während des ganzen Weges so tapfer gehalten hatte. Sie keuchte immer noch von der Anstrengung. Der Atem kam wie Dampf aus ihrem Mund, verwehte jedoch sofort mit dem Wind.
    »Hast du auch manchmal Angst?«
    Nadja nickte.
    »Wann denn?«
    Nadja dachte einen Augenblick nach. »Wenn ich zu Haus bin«, sagte sie dann. »Wenn ich im Zimmer sitze und spüre, dass mein Vater mich ansieht . . .« Plötzlich schwieg sie. Sie hatte wirklich für eine Weile vergessen, dass ihr Vater und Serjoscha tot waren. Das lag wohl daran, dass sie ein so weites Stück in gespannter Erwartung marschiert waren.
    Es war

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