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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Essen wieder hinausgetragen.
    Stumm blickten sie hinaus auf die sinkende Sonne, die über Himmel und Erde leuchtende Farben warf. Plötzlich hörten sie das Geräusch eines nahenden Schrittes. Unwillkürlich sprangen sie beide hin zur Türe, und Doktor Losberne trat ein.
    »Wie geht es Rose?« rief die alte Dame. »Bitte, reden Sie! Schnell! schnell! Ich kann es nicht länger ertragen. Alles, nur dieses ewige Hoffen und Harren nicht. Bitte, sagen Sie mir alles, in Gottes Namen!«
    »Sie müssen sich fassen«, sagte der Doktor und stützte die alte Dame. »Seien Sie ruhig, Madame, ich bitte, seien Sie ganz ruhig.«
    »Lassen Sie mich zu ihr, im Namen Gottes des Allmächtigen, lassen Sie mich zu ihr! Sie liegt im Sterben.«
    »Nein«, rief der Doktor leidenschaftlich. »Gott ist allgütig und allbarmherzig und wird sie leben lassen uns allen zum Glück noch viele Jahre.«
    Die alte Frau fiel auf die Knie und wollte die Hände falten, aber die Kraft verließ sie, und sie sank in die Arme des Arztes, der sie freundlich emporhob.

VIERUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    Ein junger Herr betritt den Schauplatz, und Oliver erlebt ein neues Abenteuer
     
    Es war des Glückes fast zu viel, um es tragen zu können. Oliver war durch die unverhoffte Nachricht ganz betäubt. Er konnte nicht weinen, nicht sprechen, nicht bleiben, wo er war. Er hatte kaum die Kraft, das, was vorgegangen, zu verstehen, und erst ein längerer Spaziergang in der friedlichen Abendluft brachte ihm durch einen Tränenstrom Erleichterung.
    Es dunkelte bereits, als er nach Hause zurückkehrte, beladen mit einem mächtigen Blumenstrauße, den er mit besondrer Sorgfalt zur Ausschmückung des Krankenzimmers gepflückt hatte. Als er auf Mrs. Maylies Haus rasch zuschritt, hörte er hinter sich auf der Straße das herankommende Donnern eines Wagens. Er blickte sich um. Es war eine Postchaise, und da der Weg ziemlich schmal war und der Postillon im Galopp einherfuhr, drückte er sich dicht an ein Gartentor, um nicht überfahren zu werden. Der Wagen näherte sich, und darin erblickte er, unter einer Zipfelmütze fast versteckt, ein ihm bekanntes Gesicht. Er forschte nach in seiner Erinnerung, wem es wohl gehören möge, da hörte er sich angerufen, und der Postillon brachte mit einem Ruck die Pferde zum Stehen.
    »Hier komm her«, rief eine Stimme. »Oliver, wie geht’s Miss Rose?! He, Oliver!«
    Es war Mr. Giles, der rief.
    »Rasch, rasch, geht’s ihr besser oder schlimmer?« rief ein junger Herr dazwischen, während sich Giles zurückzog.
    »Besser, viel besser«, erwiderte Oliver mit jauchzendem Ton.
    »Gott sei Dank«, jubelte der junge Herr. »Ist das aber auch sicher?«
    »Sie können sich bestimmt darauf verlassen, Sir«, sagte Oliver. »Vor ein paar Stunden ist die Besserung eingetreten, und Doktor Losberne hat gesagt, alle Gefahr sei jetzt vorüber.«
    Der junge Herr sprach kein Wort weiter, sprang aus dem Wagen, zog Oliver an sich und fragte ihn mit bebender Stimme: »Ist das auch wirklich ganz gewiß? Irrst du dich nicht, Kind? Sag mir die Wahrheit. Erwecke nicht Hoffnungen in mir, die am Ende enttäuscht würden.«
    »Das würde ich um keinen Preis tun, Sir«, erwiderte Oliver. »Sie können mir wirklich glauben, Sir. Doktor Losberne sagte ausdrücklich, sie würde leben und uns noch viele Jahre die Freude ihrer Gegenwart schenken.«
    Und die Tränen traten ihm in die Augen vor Ergriffenheit, und auch der junge Herr wandte das Gesicht ab und blieb einige Minuten stumm. Oliver glaubte ihn schluchzen zu hören und wagte es daher nicht, seinen Bericht fortzusetzen. Er stand da und tat, als sei er ganz mit seinem Blumenstrauß beschäftigt.
    Giles hatte unterdessen auf dem Wagentritt, die Ellbogen auf die Knie gestützt und sich die Augen wischend, dagesessen, und aus ihrer Röte, als der junge Herr ihn anredete, ging deutlich hervor, daß auch seine Bewegung echt war und von Herzen kam.
    »Fahren Sie inzwischen rasch ins Haus meiner Mutter, Giles«, befahl der junge Herr, »ich selbst komme langsam nach; ich muß mich erst ein wenig sammeln, bevor ich sie begrüßen kann. Richten Sie ihr aus, ich käme gleich.«
    »Verzeihen Sie, Mr. Harry«, erwiderte Mr. Giles, »aber Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie sichdurch den Postillon anmelden lassen wollten. Die Damen dürfen mich nicht in diesem Aufzug sehen, Sir! Ich würde alles Ansehen bei ihnen verlieren.«
    »Ganz wie Sie wollen, Giles«, erwiderte der junge Herr lächelnd. »Lassen Sie den Mann

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