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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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zu ihm. Nach ein paar Wochen, als der Frühling bereits ziemlich vorgeschritten war und jeder Baum und jede Blume Blätter und Blüten trieben, trafen sie Vorbereitungen, ihr Haus in Chertsey auf einige Monate zu verlassen.
    Das Silberzeug deponierten sie in einer Bank, übergaben das Haus der Obhut Mr. Giles’ und dem andern Diener und zogen dann mit Oliver in ein Landhaus, ziemlich weit von Chertsey entfernt.
    Die Freude und Wonne, der seelische Frieden und die Ruhe des Landes waren eine ununterbrochene Quelle des Entzückens für Oliver.
    Es war ein reizender Ort, wohin sich die beiden Damen mit Oliver begeben hatten. Der arme Junge, dessen Lebenstage bisher in der entsetzlichsten Umgebung und in Last und Kummer verstrichen waren, lebte förmlich auf in der friedvollen Landschaftszenerie. Kletterrosen und Geißblatt rankten sich an den Wänden des Häuschens hinauf. Efeu umzog die Baumstämme, und die Blumen im Garten tränktendie Luft mit süßem Wohlgeruch. Dicht in der Nähe lag ein kleiner Friedhof voll niedriger, mit frischem Rasen und Moos bedeckter Erdhügel, darunter die alten toten Dorfbewohner lagen und den ewigen Schlaf schliefen. Oft wanderte Oliver dorthin und träumte von dem armseligen Grab, in dem seine Mutter ruhte, und weinte und schluchzte, ohne daß es jemand sah. Wenn er aber die Augen zu dem blauen Himmelszelt über seinem Haupte erhob, dann flossen wohl seine Tränen immer noch, doch der Schmerz in seinem Herzen wich einer stillen Ruhe.
    Es waren Tage, friedvoll und heiter, und die Nächte nicht wie sonst voll Furcht und Sorge. Jeder Tag brachte andre freundliche und glückliche Gedanken. An jedem Morgen begab sich Oliver zu einem silberhaarigen Greis, der unweit der kleinen Kirche wohnte und ihm Unterricht im Lesen und Schreiben erteilte und sich solche Mühe mit ihm gab, daß Oliver gar nicht genug tun konnte, sich zu bemühen, ihm Freude zu machen. Dann wieder ging Oliver mit Mrs. Maylie und Miss Rose spazieren und lauschte, wenn sie von Büchern sprachen, oder hörte zu, wenn die junge Dame ihrer Tante vorlas; und kam der Abend, arbeitete er fleißig und ausdauernd in seinem kleinen Stübchen, das hinaus in den Garten ging, an seinen Schulaufgaben, bis es späte Dämmerung wurde und die Damen wieder ausgingen und ihn mitnahmen. Wenn es dann finster geworden war und sie heimkehrten, setzte sich Miss Rose ans Klavier und spielte und sang mit leiser holder Stimme ein altes Lied, das ihre Tante gern hörte. Zu solchen Stunden wurden niemals Lichter angezündet, und dann saß Oliver an einem Fenster und lauschte verzückt der süßen Musik. Frühmorgens pflegte Oliver schon gegen sechs auf den Beinen zu sein, durchstreifte die Felder und durchsuchte die Hecken nach Feldblumen, die er sorgfältig geordnet als Zierde aufden Frühstückstisch stellte. So verflossen drei Monate – drei Monate, die selbst im Leben eines vollkommen Glücklichen schön zu nennen gewesen wären, für Oliver aber nach den unruhigen trüben Jahren, die er verlebt, ungemischte Seligkeit bedeuteten. Milde und Güte auf der einen Seite, wahrhaft innige Dankbarkeit auf der andern, konnte es nicht wundernehmen, daß Oliver nach Verlauf dieser kurzen Zeit bei den beiden Damen so beliebt war, daß sie mit Stolz und Freude die inbrünstige Anhänglichkeit seines jungen empfindsamen Herzens voll Liebe vergalten.

DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    Das Glück Olivers und das seiner Freunde erleidet einen plötzlichen Stoß
     
    Rasch schwand der Frühling dahin, und der Sommer kam, und alles grünte und blühte in vollster, üppiger Pracht. Die Bäume, früher verschrumpft, kahl und abgestorben, spendeten stille hehre Schatten und reckten ihre Arme schützend aus über den durstenden Boden. Die Erde war angetan mit ihrem glanzvollen grünen Mantel und schüttelte reiche Wohlgerüche aus ringsum.
    Noch immer nahm das geruhige Leben Mrs. Maylies seinen Fortgang, und heiter und froh genossen alle die schöne Zeit. Oliver war gesund und kräftig geworden, aber er blieb immer der sanfte, zärtliche, liebevolle Knabe, der er gewesen, als er noch schwach und entkräftet auf die Pflege seiner Wohltäterinnen angewiesen war. An einem schönen Abend hatten sie einen längeren Spaziergang unternommen, und am Himmel glänzte der Vollmond. Rose war sehr munter und wohlgemut gewesen, legte, als sie zu Hause angekommen waren, ihren Hut ab, setzte sich wie gewöhnlichans Klavier, verfiel aber, nachdem sie ein paar Minuten zerstreut in die Tasten

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