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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Dasein eine bedeutende Veränderung vorgegangen sein mußte, fehlte es nicht. Wo waren der Tressenrock und der dreieckige Hut hingekommen?Mr. Bumble trug zwar noch immer Kniehosen und schwarze, wollene Strümpfe, – aber nicht die eines Kirchspieldieners. Auch sein Rock war ein andrer und sein Hut ein gewöhnlicher bescheidener runder Hut. Kurz: Mr. Bumble war nicht mehr Kirchspieldiener.
    Es gibt Stellungen im Leben, die außer ihren materiellen Vorteilen noch einen ganz besonderen Wert erhalten durch das mit ihnen verknüpfte Habit: Ein Feldmarschall trägt eine Uniform, ein Priester eine Stola, ein Anwalt einen Talar, ein Kirchspieldiener seinen Dreispitz. Man nehme dem Priester seine Stola und dem Kirchspieldiener Dreispitz und Tressenrock, und sie werden gewöhnliche Menschen, wie wir es alle sind. Amt und Würde, bisweilen sogar Heiligenschein, hängen mehr von Uniformen, Ornaten, Perücken und Dreispitzen ab, als so mancher sich träumen läßt.
    Mr. Bumble hatte Mrs. Cornay geheiratet und war jetzt Armenhausverwalter. Ein andrer Kirchspieldiener war zu Amt und Würden gelangt, und der Dreispitz, der Tressenrock und der Amtsstab waren auf ihn übergegangen.
    »Morgen sind’s zwei Monate«, sagte Mr. Bumble seufzend. »Mir scheint es wie ein Jahrhundert.«
    Vielleicht wollte Mr. Bumble sagen, daß er in dem kurzen Zeitraum von acht Wochen ein ganzes Leben voll Glück durchgemacht hätte, – wenn nur der Seufzer nicht gewesen wäre. Es lag so gar viel in ihm. »Ich habe mich verkauft«, fuhr Mr. Bumble fort, »für sechs Teelöffel, eine Zuckerzange, eine Milchkanne, ein Zimmer voll Gerümpel und zwanzig Pfund in Gold; – viel zu billig.«
    »Billig?« gellte ihm eine schrille Stimme ins Ohr. »Du wärst für einen Penny zu teuer gewesen. Der Himmel weiß, um wieviel ich dich überzahlt habe.«
    Mr. Bumble drehte sich um und blickte in das Antlitz seiner Ehehälfte, die sein kurzes Selbstgespräch zwar unvollkommenverstanden hatte, aber ihre Bemerkung auf gut Glück hinwarf.
    »Mrs. Bumble, Madame«, rief Mr. Bumble in einem Ton, aus dem die Strenge deutlich hervorklang.
    »Na und?« gellte die Dame.
    »Sieh mich doch an, gefälligst«, sagte Mr. Bumble und starrte sie fest an – (wenn sie diesen Blick aushält, sagte Mr. Bumble zu sich selbst, so hält sie alles aus. Der Blick hat, wie ich genau weiß, bei armen Leuten seine Wirkung nie verfehlt, übt er bei ihr keine Wirkung, dann ist’s aus mit meiner Macht).
    Ob sich speziell nur arme Leute, die infolge Unterernährung sich keiner kräftigen Konstitution erfreun, ins Bockshorn jagen lassen durch Blicke oder ob die verwitwete Mrs. Cornay und jetzige Mrs. Bumble ganz besonders hieb- und stichfest war gegen Adlerblicke, das zu entscheiden ist schwer. Tatsache ist und bleibt, daß die würdige Armenhausmutter sich von Mr. Bumbles Adlerauge nicht im geringsten imponieren ließ und den Blick im Gegenteil ziemlich geringschätzig hinnahm und dabei grell auflachte in einer Weise, als käme ihr das Lachen wirklich und ganz aus dem Herzen.
    Als dieser unerwartete Ton an Mr. Bumbles Ohr schlug, machte er zuerst ein ungläubiges und dann höchst verdutztes Gesicht; schließlich sank er in seinen früheren Zustand zurück und raffte sich nicht eher auf, als bis die Stimme seiner Ehehälfte seine Aufmerksamkeit von neuem in Anspruch nahm.
    »Du willst wohl den ganzen Tag dasitzen und schnarchen, was!« fragte Mrs. Bumble.
    »Ich werde so lange hier sitzen bleiben, Madame, wie es mir paßt«, erwiderte Mr. Bumble; »und wenn ich auch nicht geschnarcht habe, werde ich doch jetzt schnarchen,gähnen, niesen, lachen, kurz: was mir paßt und was mein Recht ist.«
    »Dein Recht – deins!?« höhnte Mrs. Bumble mit unsäglicher Verachtung.
    »Jawohl, Madame«, sagte Mr. Bumble. »In die Hände des Mannes ist es gegeben zu befehlen.«
    »Und welches Recht steht der Frau zu, du Esel?« schrie Mr. Cornays Witwe.
    »Das Recht zu gehorchen, Madame«, donnerte Mr. Bumble. »Dein seliges Rindvieh von Mann hätte dir Gehorsam beibringen sollen; vielleicht würde er dann heute noch leben. Ich würde es ihm von Herzen gönnen, dem armen Kerl.«
    Mit einem Blick übersah Mrs. Bumble die Situation; jetzt ging’s ums Leben, entweder ihm oder ihr mußte die Herrschaft zufallen. Kaum hatte sie die Anspielung auf ihren seligen Gatten vernommen, da sank sie in einen Stuhl und kreischte, Mr. Bumble sei ein hartherziges Ungeheuer, und dann gab sie einen Weinkrampf erster Ordnung zum

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