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Oliver Twist

Oliver Twist

Titel: Oliver Twist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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ich – hätte längst abreisen sollen«, begann Harry.
    »Freilich«, versetzte Rose, »verzeihe, daß ich dir dies sage, aber ich wollte, es wäre so gewesen.«
    »Die schrecklichste und quälendste aller Befürchtungen hat mich hergetrieben«, fuhr der junge Mann fort. »Die Angst und Sorge um das teuerste Wesen, das man auf Erden hat. Du warst dem Tode nahe – standest zwischen Himmelund Erde. Wenn junge, schöne und gute Menschen von Krankheiten heimgesucht werden, so ahnen wir, daß ihre reinen Seelen sich unbewußt jener lichten Heimat ewiger Ruhe zuwenden, und wir wissen, daß leider nur allzuoft die besten und edelsten Menschen in der besten Blüte ihrer Jahre dahinwelken.«
    Tränen traten dem schönen Mädchen in die Augen, als sie diese Worte vernahm, und eine von ihnen fiel auf die Blumen, über die sie sich gebeugt hatte, und glänzte in ihrem Kelche wie ein Tautropfen.
    »Ein Engel«, fuhr der junge Mann leidenschaftlich fort, »ein Wesen so schön und frei von aller Schuld, wie ein Engel Gottes, hat zwischen Leben und Tod geschwebt. Durften wir hoffen, daß du zu den Leiden und Qualen dieser Welt zurückkehren würdest, da dein Blick fürs Jenseits schon halb geöffnet war? Es war zu viel, um es tragen zu können; – du bist wie ein sanfter Schatten über die Erde dahingeglitten – wie ein Schatten, den ein Licht von oben auf die Erde wirft, und als mir alle Hoffnung schwand, du könntest uns erhalten bleiben, und wie sehr ich auch einsah, ich hätte kein Recht, dich zurückzuhalten hier auf Erden, so litt ich doch unsäglich darunter, du könntest nicht wissen, wie innig ich dich liebe. Da genasest du. Tag um Tag, Stunde um Stunde kehrte langsam deine Gesundheit zurück, und bald warst du wieder du selbst. Ich habe mit angesehen, wie du vom Tod wieder zum Leben zurückschwebtest – mit eigenen Augen, die fast blind geworden sind vor Angst und inniger Liebe. Sage nicht, es hätte dein Wunsch sein können, daß ich dies alles nicht hätte miterleben sollen, denn es hat mein Herz weich gestimmt gegen die ganze Menschheit.«
    »Das sollte nicht in meinen Worten liegen«, schluchzte Rose. »Ich hätte nur gern gesehen, daß du wieder fortgefahrenwärest, um dich weiter deinen hohen und edlen Lebenszielen zu widmen.«
    »Es gibt kein Ziel, das meiner würdiger wäre, als das Streben, ein Herz, wie das deinige, zu gewinnen«, erwiderte der junge Mann und ergriff ihre Hand. »Rose, meine liebe unendlich teure Rose! Ich habe dich seit – ja, seit vielen Jahren geliebt und habe gehofft und geträumt, mir ein kleines Teil Ruhm zu erringen und dann stolz heimzukehren, um dir zu sagen, daß ich das Errungene nur gesucht, um es mit dir zu teilen. Diese Zeit ist zwar noch nicht gekommen, aber ich biete dir jetzt, auch ohne mir Ruhm erworben zu haben und ohne meine jugendlichen Träume erfüllt zu sehen, mein Herz, das schon lange dein gewesen, und setze mein Alles auf die Worte, die du mir sagen wirst.«
    »Du warst immer edel und vornehm«, sagte Rose, nur mühsam ihre Empfindung meisternd, »und damit du siehst, daß ich weder gefühllos noch undankbar bin, so, bitte, höre meine Antwort.«
    »Lautet sie dahin, ich müsse streben, deiner würdig zu werden, Rose?«
    »Sie lautet«, versetzte Rose, »daß du dich bemühen mußt, mich zu vergessen. Nicht als deine dir anhängliche Jugendfreundin, denn das würde mich schwer kränken, sondern zu vergessen, mich als Gegenstand deiner Liebe zu betrachten. Schau dir die Welt an, bedenke, wieviel Mädchen es dort gibt, deren Gewinn dich mit gerechtem Stolz erfüllen müßte. Nimm von mir eine andre Liebe, und ich will dir die treuste und wärmste Freundin sein, die du dir nur denken kannst.«
    Es folgte eine Pause. Rose hatte ihr Gesicht bedeckt und ließ ihren Tränen freien Lauf. Noch immer hielt Harry ihre Hand fest.
    »Und deine Gründe, Rose?« fragte er endlich mit leiserStimme. »Welche sind deine Gründe für diesen Entschluß?«
    »Du hast ein Recht, diese Gründe zu kennen«, erwiderte Rose. »Meinen Entschluß aber darfst du nicht wankend machen; ich habe eine Pflicht zu erfüllen, das bin ich andern sowie auch mir schuldig.«
    »Dir?«
    »Jawohl, Harry. Ich bin es mir selbst schuldig, daß ich nicht als Mädchen ohne Vermögen und Mitgift mit einem Makel auf meinem Namen deinen Freunden Grund zu dem Argwohn gebe, ich hätte mich als Hemmschuh an alle deine Hoffnungen und Pläne gehängt. Ich bin diese Pflicht dir schuldig und den Deinen und muß dich

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