Oliver Twist
besten.
Tränen aber fanden zu Mr. Bumbles Seele keinen Weg, denn sein Herz war wasserdicht; den Filzhüten gleich, die gewaschen werden dürfen und durch Regen immer besser werden, stählten sich seine Nerven durch Tränenschauer, die ihn als Zeichen der Schwäche und somit als stillschweigende Anerkenntnis seiner Obergewalt erfreuten und stolz machten. Zufrieden blickte er seine Gattin an und bat und munterte sie auf alle Weise auf, nur feste drauflos zu heulen: es sei das äußerst gesund, wie jeder Arzt wisse.
»Es weitet die Lungen, säubert das Gesicht, schärft die Augen und schlägt die Aufwallungen nieder«, sagte Mr. Bumble. »Heul nur recht fest drauflos.«
Und scherzend nahm er seinen Hut vom Rechen, setzte ihn keck aufs Ohr, ganz wie ein Mann, der sich seiner Überlegenheitbewußt ist und es offen zeigen will, – steckte die Hände in die Taschen und stolzierte zur Türe.
Mrs. Bumble-Cornays’ Tränendrüsen-Manöver war jedoch nur erfolgt, da sie es aus Bequemlichkeit einem handgreiflichen Vorgehen vorzog; den Hauptangriff hatte sie sich wohlweislich noch aufgespart.
Die einleitenden Schritte dazu gaben sich kund durch einen hohlen Klang, dem das Ins-Eck-Fliegen eines Hutes folgte. Auf die schnöde Entblößung des Hauptes Mr. Bumbles folgte ein jäher Gurgelgriff und mit der andern Hand ein Hagel von Püffen, der auf den kahlen Schädel des Würdigen niedersauste. Dann änderte sich die Szene ein wenig durch Gesichtzerkratzen und Haarausraufen. Als Mrs. Cornay-Bumble ihren Sieg vorläufig für ausreichend erachtete, warf sie ihren Gatten über einen gerade günstig dastehenden Sessel und forderte ihn auf, noch einmal etwas von Rechten zu sprechen, wenn er sich getraue.
»Laß los«, rief Bumble in befehlendem Ton, »und schau, daß du hinauskommst, sonst geschieht etwas Fürchterliches!« Und kläglich stand er auf und sann sichtlich darüber nach, wie so etwas Fürchterliches denn aussehen müsse. Dabei hob er seinen Hut auf und blickte nach der Türe.
»Willst du gehen?« fragte Mrs. Bumble höhnisch.
»Freilich, freilich. Ich gehe ja schon«, versetzte Mr. Bumble mit einer raschen Bewegung zur Türe hin. »Ich gehe ja schon, mein Kind. Du bist rein von Sinnen, daß ich –« In diesem Augenblick bückte sich Mrs. Bumble, um den kleinen, in Unordnung geratenen Teppich wieder zurechtzuschieben, und ihr Ehegatte benützte die Gelegenheit hinauszuschießen, ohne daran zu denken, seine Rede zu vollenden. So ließ er Mrs. Bumble im ungestörten Besitz des Schlachtfeldes zurück.
Den Armen das Leben so sauer wie möglich zu machen und die Ausübung von Tyrannei und Grausamkeit war ihm ein Vergnügen, aber innerlich war er natürlich ein Feigling. Das Maß seiner Erniedrigung sollte jetzt keineswegs voll sein. Nachdem er einen Rundgang durch das Haus gemacht und vielleicht zum erstenmal in seinem Leben auf den Gedanken verfallen war, daß die Gesetzgebung allzuschwer auf der Menschheit laste, da Männer, die ihren Weibern davonliefen und die Sorge für sie der Gemeinde überließen, gerechterweise keine Strafe mehr verdienten, da sie schon zu viel erlitten hätten, – setzte er seinen Fuß in ein Zimmer, wo gewöhnlich einige Armenhäuslerinnen mit Haus- und andrer Wäsche beschäftigt waren, und aus dem jetzt das Geräusch vielstimmig geführter Unterhaltung herausdrang.
»Hm«, murmelte Mr. Bumble, alle seine Würde zusammennehmend, »wenigstens dieses Weibervolk soll meine Sporen zu spüren bekommen. Hallo? Was ist das hier für ein Spektakel, ihr Weibsbilder!«
Damit riß Mr. Bumble die Türe auf und schritt stolz und grimmig hinein, knickte aber sofort zusammen, als er die Gestalt seiner besseren Ehehälfte erblickte.
»Ei, liebes Frauchen«, sagte er, »ich habe dich gar nicht hier vermutet.«
»So, du hast nicht gewußt, daß ich da bin«, kreischte Mrs. Bumble. »Was willst du hier?«
»Die Weiber zur Arbeit anhalten, – sie schwätzen mir zu viel, liebe Frau«, versetzte Mr. Bumble mit einem unsichern Blick auf ein paar alte Weiber, die am Waschfaß standen und ihrer Verwunderung über die unterwürfige Haltung des Herrn Arbeitsvorstandes Ausdruck gaben.
»Du meinst, es würde hier nur geschwatzt, was?!« rief Mrs. Bumble, »was geht denn das dich an!«
»Aber, liebes Frauchen –«, wendete Mr. Bumble ein.
»Nun also, raus mit der Sprache. Was es dich angeht, will ich wissen«, herrschte Mrs. Bumble.
»Natürlich, liebes Frauchen«, gab Mr. Bumble kleinlaut zu, »natürlich
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