Olivers Versuchung
sich immer noch von sich selbst angewidert, dass er seinem Hunger wieder erlegen war, dass er nicht stark genug gewesen war, Widerstand zu leisten und gegen den Dämon in seinem Inneren anzukämpfen. Würde er eines Tages genauso enden wie dieser Junkie und auf der Straße leben, wenn Quinn und Scanguards ihn aufgaben? Wenn sie entschieden, dass er für Scanguards ein zu großes Risiko darstellte? Das konnte er nicht zulassen. Er musste es ihnen und sich selbst beweisen, dass er stärker war, dass sie ihm vertrauen konnten und dass er verantwortlich handeln konnte.
Er umfasste das Lenkrad fester und bog um die nächste Ecke, um endgültig die Bayview hinter sich zu lassen und somit den South of Market Stadtteil zu erreichen. Normalerweise jagte er hier nach Blut, aber aus unerfindlichen Gründen hatte es ihn heute Nacht in die elendeste aller Gegenden gezogen. Hatte jemand versucht, ihm etwas zu sagen? Hatte sein Unterbewusstsein versucht, ihm zu zeigen, was aus ihm werden würde, wenn er seine Blutgier nicht in den Griff bekam?
Oliver schob den Gedanken beiseite, um Platz für eine andere, drängendere Angelegenheit zu machen: das Mädchen auf seinem Rücksitz. Als allererstes musste er sicherstellen, dass es ihr gut ging, dann musste er versuchen herauszufinden, was passiert war, und schließlich würde er ihr Gedächtnis löschen müssen. Dies galt insbesondere für den Fall, dass sie wusste, wer sie gejagt hatte: nämlich ein Vampir. Es spielte keine Rolle, wer der Typ war – ob Oliver ihn kannte oder nicht – denn es war ein ungeschriebenes Gesetz unter Vampiren, dass die Identität eines Vampirs jederzeit bewahrt werden musste. Menschen durften nicht erfahren, dass sich diese unsterblichen Wesen in ihrer Mitte aufhielten.
Oliver warf einen Blick über seine Schulter, aber das Mädchen rührte sich nicht. Er erinnerte sich an die Art und Weise, wie sie ihn mit ihren schönen, mandelförmigen Augen angesehen hatte. Sie waren so dunkel wie die Nacht selbst gewesen, als sie ihn angefleht hatte, ihr zu helfen. Er hatte bereits beschlossen, sich nicht in ihr Problem einzumischen, doch dann hatte sie ihn mit ihrem Angebot überrascht.
Hatte sie es wirklich ernst gemeint? Sie musste unglaubliche Angst gehabt haben, wenn sie einem Fremden Sex anbot, damit er sie rettete. Und bei Gott, er hätte ihr Angebot angenommen, aber jetzt? Er schüttelte den Kopf. Er konnte ihr Angebot jetzt nicht mehr annehmen. Es wäre unethisch.
Unethisch? , fragte der kleine Teufel, der auf seiner Schulter saß. Was ist unethisch daran, mit einer heißen Braut Sex zu haben?
Und sie war heiß. Lange, schwarze Haare, eine schlanke, zierliche Figur, kleine, aber gut geformte Brüste, und dann diese Augen: nach oben gebogen, jedoch groß, ihre Regenbogenhaut dunkel wie die Nacht, jedoch funkelnd und strahlend in ihrer Ausdruckskraft. Er vermutete, dass sie Chinesin war, aber da er keinen Akzent herausgehört hatte, war sie wahrscheinlich in zweiter Generation hier geboren und gehörte zu der großen chinesischen Gemeinschaft von San Francisco. Sie war das schönste Mädchen, das ihm je begegnet war. Als sie ihm Sex angeboten hatte, hatte sein Herz für einen Moment aufgehört zu schlagen, weil er sein Glück gar nicht fassen konnte. Diese schöne junge Frau war bereit, mit ihm zu schlafen?
Oliver knirschte mit den Zähnen. Es war nicht richtig, eine verängstigte Frau so auszunutzen, selbst wenn sein Schwanz sich nicht um diese Tatsache scherte. Nein, dieser Körperteil war mehr als bereit dazu, sie an ihr Versprechen zu erinnern, sobald sie erwachte.
„Ah, Mist!“, zischte er leise.
Dieses eine Mal wünschte er sich, dass er doch auf Blake hätte hören und zu Hause hätte bleiben sollen. Er hätte eine Flasche Blut aus der Speisekammer trinken sollen. Dann gäbe es jetzt zwei Dinge weniger, um die er sich sorgen müsste: Zum einen würde er sich nicht so verdammt schuldig fühlen, was der dem unschuldigen Jugendlichen angetan hatte, und zweitens würde dann nicht eine ohnmächtige junge Frau auf dem Rücksitz seines Wagens liegen, die er bis zur Bewusstlosigkeit ficken wollte, sobald sie wieder zu sich kam.
Oliver bog in seine Straße ein und warf einen Blick auf die Villa, die sein Zuhause war. Nur die Lampe über dem Eingang leuchtete vor dem Haus, ansonsten war es dunkel. Vermutlich war Blake ausgegangen, da es noch zu früh für ihn war, schon im Bett zu sein. Seit Blake sich ihnen angeschlossen hatte, nachdem er
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