Olivers Versuchung
fand jedoch keine. „Ich weiß es nicht. Als ich eines Nachts aufwachte, existierte ich einfach. Ich hatte keinen überwältigenden Drang nach Blut, was mich vermuten lässt, dass ich schon lange, bevor ich mein Gedächtnis verloren hatte, ein Vampir war. Also kann ich dir da leider nicht weiterhelfen.“
Er ließ seine Antwort unbeschwert und im Ton locker klingen und strafte damit die Tatsache Lügen, dass es ihn jedes Mal bedrückte, wenn er an seine Vergangenheit dachte und gegen eine Wand des Nichts und der undurchdringlichen Leere prallte. Irgendetwas lag jenseits der Dunkelheit, zu weit entfernt, um es zu erreichen, aber nahe genug, um seine Existenz zu spüren.
„Tut mir leid, ich wollte nicht neugierig sein“, sagte Blake und ließ seine Augen abschweifen.
Cain winkte ab. „Also, was willst du von mir?“, fragte er und überließ es damit Blake, eine Entscheidung zu treffen. Das war nicht sein Kampf.
„Kannst du mir helfen, ihn zu finden? Du weißt besser, wo ein Vampir sich rumtreiben würde.“
Unwillkürlich schmunzelte Cain. „Wenn ich das wüsste, dann wäre ich in der Lage, all diese Verrückten zu finden, die die Stadt unsicher machen.“
„Was soll das heißen?“
Er wägte seine Antwort ab, doch da Blake ein Familienmitglied einer der Direktoren von Scanguards war, glaubte er nicht, dass er eine unpassende Bemerkung machte, wenn er ihn in gewisse Neuigkeiten einweihte. „Wir haben im Moment Probleme. Es gab ein paar Vorfälle, wo Vampire einfach durchgedreht sind. Als ob sie auf Drogen wären. Total verrückte Idioten.“
Blake straffte seine Schultern. „Davon habe ich noch nichts gehört. Wie denn, Drogen? Ich dachte, Vampire reagieren nicht auf Drogen.“
Cain nickte. „Tun sie auch nicht. Deshalb ist die ganze Angelegenheit auch so seltsam. Scanguards erhielt die ersten Berichte vor sieben oder acht Wochen. Der Bürgermeister hat uns beauftragt, der Sache nachzugehen.“
Schockiert starrte Blake ihn an. „Der Bürgermeister? Heißt das, die Menschen wissen über Vampire Bescheid? Scheiße!“
„Nein, natürlich nicht! Der Bürgermeister ist ein Hybrid. Es überrascht mich, dass du das nicht weißt. Er ist wie Portia, Zanes Frau, halb Vampir, halb Mensch. Deshalb konnte er überhaupt erst Bürgermeister werden. Als Vampir könnte er ja seine Aufgaben während des Tages nicht wahrnehmen.“
„Ich hatte keine Ahnung. Was sollen wir für ihn tun?“
„Wir?“ Cain grinste, insgeheim erfreut, dass Blake so begierig war, etwas zu unternehmen. „Diesem Auftrag sind nur Vampire zugewiesen worden. Keine sterblichen Bodyguards. Aus offensichtlichen Gründen. Also mach dir keine Hoffnungen. Es mit diesen ausgeflippten Vampiren zu tun zu haben, ist keine leichte Aufgabe. Bisher sind wir immer zu spät gekommen und konnten nur noch nach ihnen aufräumen.“
„Scheiße. Was weißt du sonst noch?“
„Nicht viel. Wir haben bisher noch keinen einfangen können, um ihn zu befragen, aber von dem, was andere Vampire uns berichten . . . “
„Was für andere Vampire?“
„Zivilisten, Informanten, Vampire, die uns Bescheid sagen, wenn was abläuft. Sie sagen, dass diese Verrückten von Blut plappern, das wie eine Droge ist. Totaler Schwachsinn, wenn du mich fragst.“
Blake hakte seine Daumen in den Gürtel. „Was glaubst du dann, was es ist? Was macht sie so verrückt?“
Cain starrte an ihm vorbei in die Dunkelheit. „Guter alter Blutrausch. Nichts anderes. Wenn sie etwas anderes behaupten, dann ist das nur eine Ausrede, um ihre eigenen Schwächen zu vertuschen.“
„Aber wie erkennt man es dann? Kann man das nicht verhindern?“, wollte Blake wissen.
„Es ist nicht leicht zu erkennen, es sei denn, der betroffene Vampir ist schon in einem fortgeschrittenen Stadium. Er wird unberechenbar; seine Argumentation wird unlogisch, seine Lügen immer gewagter. Und seine Aggressionen anderen gegenüber nehmen zu.“
Blake schluckte schwer. „Du meinst, wie bei Oliver? Er ist auch sehr unberechenbar geworden. Und aggressiv.“
„Ich weiß nicht, Blake, vielleicht projizierst du ja nur etwas auf ihn. Aber ich kann es bei Oliver nicht sehen. Er versucht nur, seinen Weg zu finden. Gib ihm eine Chance! Ersticke ihn nicht! Das führt zu nichts Gutem.“
„Du hast ihn heute Abend nicht gesehen. Er war nicht er selbst. Er war wie ein wildes Tier, bereit, mir die Kehle herauszureißen.“
Cain hob eine Augenbraue. Blake übertrieb wahrscheinlich ein wenig. Der Sterbliche neigte
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