Olivers Versuchung
zuckte. „Soll ich es ihr erklären?“
Sein Kollege hatte mit Sicherheit denselben Verdacht wie er. Und er schien keine Bedenken zu haben, ihn zu äußern. Aber Oliver war Manns genug, seine eigene Drecksarbeit zu erledigen. Und sie einer Sache zu beschuldigen, für die sie nichts konnte, war nicht angenehm. Aber es war eine Möglichkeit, die er nicht einfach ignorieren konnte.
Als Ursula ihn mit einem fragenden Blick festnagelte, seufzte er. „Es ist möglich, dass der Vampir, der dich gebissen hat, dir diese Erinnerungen eingeflößt hat, damit du sie uns auftischst und uns in eine Falle lockst. Du würdest nicht mal wissen, dass du lügst.“
Sie wich einen Schritt vor ihm zurück. „Was? Du glaubst, es ist nicht wahr? Du denkst, ich hätte das erfunden? Nein! Nein! Ich habe das wirklich durchgemacht. Drei Jahre lang habe ich ihre Grausamkeit, die Demütigungen und den Schmerz ertragen. Ich weiß, was ich gesehen und gefühlt habe. Es ist tatsächlich geschehen.“
Ihre Brust hob sich von der Anstrengung, die es sie kostete, ihre Stimme zu heben und ihre leidenschaftliche Aussage zu machen.
„Meine Eltern suchen seit drei Jahren nach mir.“
„Woher willst du das wissen?“, fragte Cain.
Sie riss ihren Kopf in seine Richtung. „Weil sie mich lieben. Sie würden niemals aufgeben, mich zu suchen.“ Sie widerstand Cains prüfendem Blick, bis dieser wegblickte. Dann wandte sie sich wieder Oliver zu. „Ich muss ihnen sagen, dass ich am Leben bin.“
Er erkannte den Schmerz, der tief in ihren Augen saß, und fühlte, wie sich sein Herz zusammenzog. Vielleicht war es ja die Wahrheit, so ungeheuerlich sie auch klang. Aber um Scanguards’ und ihrer eigenen Sicherheit willen mussten sie Vorkehrungen treffen, bevor sie etwas unternehmen konnten.
„Später. Zuerst müssen wir ein paar Fakten überprüfen.“ Seine langjährige Ausbildung bei Scanguards machte sich jetzt bemerkbar. Es war wichtig, dass er keinen Fehler machte: Gabriel hatte ihn sowieso schon wegen seiner unkontrollierbaren Blutgier im Auge. Wenn er nun auch noch Scanguards gefährdete, weil er Ursulas Geschichte nicht gründlich überprüfte, dann würde ihm sein Chef das Fell über die Ohren ziehen.
„Wir müssen deine Geschichte überprüfen, damit wir bestätigen können, wer du bist“, sagte er und fühlte sich etwas schuldig, weil er ihr nicht glaubte.
Der enttäuschte Blick, mit dem sie ihn ansah, schnitt wie ein Messer durch ihn hindurch. Ja, jetzt war absolut klar, dass sie niemals mit ihm schlafen würde, nicht nachdem er sie so enttäuscht hatte. Es sollte eigentlich keine Rolle spielen, tat es aber doch. Denn der Kuss, den sie ihm gegeben hatte, hatte ihm Hoffnung auf so viel mehr gemacht. Und er hungerte nach mehr. War er dazu verdammt, neben seinem Blutdurst auch noch einen anderen Hunger zu bekämpfen, den er nicht stillen konnte?
Ihre Stimme klang resigniert, als sie schließlich weitersprach. „Was willst du wissen?“
„Deinen Namen, die Namen deiner Eltern und wo sie leben. Wann du entführt worden bist und wo.“ Dann nickte er Cain zu. „Cain, mach‘ dir Notizen! Ich möchte, dass du versuchst, alles herauszufinden, was es zu finden gibt. Es dürfte Polizeiberichte und möglicherweise Zeitungsartikel über Ursulas Entführung geben.“
Das hoffte er zumindest, denn herauszufinden, dass sie eine Lügnerin war und versuchte, ihn und Scanguards zu überlisten, gefiel ihm gar nicht. Allerdings gefiel ihm die Tatsache noch weniger, dass sie drei Jahre lang in Gefangenschaft gelebt hatte und einer Gruppe von Vampiren ausgesetzt war, die ihr Blut getrunken hatten, wann immer sie wollten – und ihr vermutlich noch viel Schlimmeres angetan hatten.
Er wusste, was mit einer Fütterung Hand in Hand ging: die sexuelle Erregung des Menschen und des Vampirs. Wenn ihre Geschichte wahr war, dann würde dies bedeuten, dass sie unzählige Male vergewaltigt worden war. Brutal vergewaltigt.
Aber er konnte sie nicht danach fragen. Um seiner selbst willen: Denn zu wissen, dass jemand sie auf diese Weise verletzt hatte, nicht nur ihr Blut gestohlen, sondern sie auch sexuell missbraucht hatte, brachte sein Blut in Wallung. Er würde jemanden umbringen müssen.
11
Nachdem Ursula Oliver alle Informationen gegeben hatte, die er benötigte, nickte Cain und marschierte zur Tür. „Ich melde mich, sobald ich etwas gefunden habe.“
„Danke, ich weiß es zu schätzen“, antwortete Oliver.
Die Eingangstür fiel hinter Cain ins
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