Olivers Versuchung
schnell ihr Herz schlug.
Als er seinen Blick hob, um ihr in die Augen zu sehen, bemerkte er Angst in ihnen. Hatte sie Angst vor ihm und seinen Freunden, oder hatte sie Angst vor dem Vampir, der sie gebissen hatte?
„Bitte“, drängte er sie. „Sag mir, was passiert ist!“
Langsam zog sie ihre Hand aus seiner. Widerwillig ließ er es zu.
„Sie haben mich drei Jahre lang eingesperrt.“ Die Worte kamen erstickt aus ihrer Kehle, so als ob sie Schwierigkeiten beim Sprechen hatte.
Betäubt von ihren Worten schwieg er und wartete geduldig, dass sie fortfuhr. Sie nahm mehrere Atemzüge, während sie seine Freunde ansah, bevor sie ihren Kopf zur Seite drehte, um den Blickkontakt mit ihm zu vermeiden.
„Ich war Studentin an der NYU, als sie mich eines Nachts entführt haben. Ich hatte gerade eine Abendvorlesung verlassen. Ich konnte nicht glauben, was geschah. Vampire existierten nicht! Das konnten sie einfach nicht. Sie waren doch nur Mythos und Folklore. Sie existierten nur in Filmen. Ich hätte nie gedacht . . . “ Ihre Stimme brach.
Oliver wollte so viel sagen, aber seine Kehle fühlte sich plötzlich wie ausgetrocknet an.
„Sie haben mich zu einem Gebäude transportiert, wo sie mich einsperrten. Ich war nicht die Einzige. Es gab andere Mädchen wie mich.“ Sie hob ihren Kopf und begegnete seinem Blick. Ihre Augen waren feucht, aber sie weinte nicht.
Unwillkürlich kam seine Hand hoch, um ihre Wange zu streicheln, aber in letzter Sekunde zog er sie wieder zurück, da er seine Gefühle weder ihr noch seinen Freunden offenbaren wollte. Er musste unparteiisch bleiben. Das war das Markenzeichen eines guten Bodyguards. Cain hatte versucht, ihm dies beizubringen, und Gabriel hatte es unzählige Male wiederholt.
Allerdings konnte er die Tatsache nicht ändern, dass er von ihren Worten betroffen war. Er verspürte Mitleid mit ihr.
„Was haben sie mit dir gemacht?“
Ursula hob ihr Kinn an und ihr Mund wurde zu einer harten Linie. „Sie haben uns als Blut-Huren benutzt.“
„Blut-Huren?“, entfuhr es einer ungläubig dreinblickenden Maya.
Olivers eigene Reaktion war nicht weniger verblüfft. „Ich habe noch nie von Blut-Huren gehört.“ Er wandte sich mit einem fragenden Blick an Cain.
Sein Kollege schüttelte den Kopf. „So etwas gibt es nicht. Weil es dafür keinen Bedarf gibt.“
Ursula zog ihre Schultern hoch und setzte sich gerade auf. Ihre Lippen zitterten, als sie fortfuhr: „Sie haben mich und die anderen Frauen als Blut-Huren benutzt. Zweimal, manchmal dreimal pro Nacht haben die Vampire von uns getrunken. Blutegel haben wir sie genannt“, stieß sie gepresst hervor. „Einige der Mädchen haben es nicht überlebt. Aber sie fanden immer wieder neue, um diejenigen, die umkamen, zu ersetzen.“
Cain trat einen Schritt näher. „Das ist unmöglich. Es gibt keine Notwendigkeit, Menschen wegen ihres Blutes gefangen zu halten. Selbst die Vampire, die kein Flaschenblut trinken, haben dafür keinen Bedarf. Sie gehen einfach aus und jag –“
„Finden jemanden, von dem sie trinken können“, unterbrach Oliver ihn schnell. Jagen , hatte Cain sagen wollen, und irgendwie glaubte Oliver nicht, dass dies ein geeignetes Wort in Ursulas Gegenwart war. „Kein Vampir würde sich die Mühe machen, einen Menschen einzusperren und sich um ihn zu kümmern, nur um ständig Blut verfügbar zu haben.“
Wenn das der Fall wäre, warum tranken sie es dann nicht gleich aus einer Flasche? Zumindest empfand er so. Er liebte die Jagd. Der Nervenkitzel war es, der ihn Nacht für Nacht auf die Jagd trieb. Und er konnte sich vorstellen, dass dieses Gefühl für andere Vampire, die sich nicht an Flaschenblut gewöhnen konnten, das gleiche war. Sie liebten die Jagd. Sie würden nicht von einem Menschen trinken wollen, den sie in einem Gefängnis einsperren mussten und der wie ein Tier in einem Käfig lebte.
„Sie führen ein Geschäft“, beharrte Ursula. „Sie verlangen einen hohen Preis für unser Blut. Und die Blutegel zahlen, ohne mit der Wimper zu zucken.“
„Warum sollten sie für etwas Geld ausgeben, das sie kostenlos auf der Straße bekommen können?“, warf Maya ein, und ihre Stimme klang genauso skeptisch wie Cains vorangegangener Kommentar.
Oliver suchte in Ursulas Gesicht nach Anzeichen, dass sie log. Thomas versuchte seit einiger Zeit, ihm dies beizubringen, aber er beherrschte es noch nicht. Allerdings, so wie es für ihn aussah, glaubte er nicht, dass sie log. Es sei denn, sie war sich ihrer
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