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Olivers Versuchung

Olivers Versuchung

Titel: Olivers Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Folsom
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daran erinnern können.“
    Blake wich zurück und das Geräusch seiner Schuhe hallte in dem leeren Flur wider. „Das würdest du nie tun!“ Aber trotz seiner Worte zeigten seine Augen, dass er sich nicht ganz sicher war. Zweifel hatten sich in seinen Kopf eingeschlichen.
    „Bist du dir da so sicher?“
    So wie Oliver sich gerade fühlte, würde er seine Zähne egal wo hinein schlagen, solange das Ding einen Herzschlag hatte. Blakes dummer Versuch, ihn vom Ausgehen abzuhalten, hatte seine Blutgier zu weit getrieben. Der Hunger wurde immer stärker. Oliver fühlte den Schmerz in seinem Zahnfleisch. Er konnte seine Fangzähne nicht davon abhalten, sich zu verlängern. Im Bruchteil einer Sekunde erreichten sie ihre volle Länge.
    Ein Knurren entriss sich seiner Kehle.
    Seine Hände verwandelten sich in Klauen. Scharfe Widerhaken zierten jetzt seine Fingerspitzen. Damit könnte er einem Menschen in einer Sekunde die Kehle aufreißen.
    Blake wich entsetzt zurück. „Scheiße!“
    „Lauf!“, hauchte Oliver. Aber die Worte waren nicht für Blake bestimmt. Die Worte waren an ihn selbst gerichtet. „Lauf!“
    Endlich reagierte sein Körper auf seinen Befehl. Oliver machte auf den Fersen kehrt und stürzte zur Tür, die in die Garage führte. Er fiel mehr als dass er die Treppe hinunterrannte und erreichte seinen dunklen Minivan, als eine weitere Welle unbändigen Hungers durch seinen Körper schoss.
    Scheiße!
    Er musste hier weg. Weit weg, oder er würde Blake wehtun, und er wusste, dass er sich das nicht erlauben konnte. So tief durfte er nicht sinken. Obwohl er und Blake bei jeder Gelegenheit stritten, waren sie eine Familie. Und Blake wehzutun würde bedeuten, Quinn zu enttäuschen. Und egal was jeder über seine Unfähigkeit, seinen Hunger zu beherrschen, dachte, eine Sache wollte er nicht verlieren: Quinns Unterstützung.
    Oliver sprang in den Wagen. Er ließ den Motor aufheulen, schoss aus der Garage und raste die Straße hinunter.
    Seine Hände umklammerten das Lenkrad so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Eines Nachts würde er nicht mehr in der Lage sein, sich zurückzuhalten, und das Unvermeidliche würde geschehen: Er würde jemanden töten.

2

    Ursula hörte die zielstrebigen Schritte, die im Flur hallten und wusste, was dies bedeutete. Der Wärter kam, um sie zu holen. Jedes Mal, wenn dies passierte, graute ihr davor. Man hätte meinen können, dass sie sich nach drei langen Jahren in Gefangenschaft endlich daran gewöhnt hätte, aber mit jedem Mal wuchs ihre Abneigung gegen das, was sie ihr antaten. Genauso wie es ihr vor der Angst graute, der Angst davor, dass sie den Kampf aufgeben und ihnen schließlich erliegen würde. Dass sie sich selbst verlieren würde und zu einem geistlosen Gefäß werden würde, das nur existierte, um die Bedürfnisse seiner Entführer zu stillen.
    Zweimal pro Nacht, manchmal dreimal, holten sie sie. Sie spürte, dass sie immer schwächer wurde. Nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Und sie war nicht die einzige. Die anderen Mädchen waren in der gleichen Situation. Sie waren alle Chinesinnen wie sie selbst. Einige waren jung, andere älter. Doch das Alter schien keinen Unterschied zu machen, denn den Wärtern ging es nicht um die Schönheit der Frauen.
    Sie war kaum einundzwanzig Jahre alt gewesen, als sie eines Abends in New York entführt wurde – auf dem Heimweg von einer Abendvorlesung der New York University. Es war ihr letztes Semester gewesen, aber nun würde sie das Studium niemals beenden können. Wie sie sich vor der Abschlussprüfung gefürchtet hatte, eifrig darauf bedacht, dass ihre Eltern stolz auf sie sein konnten! Wenn sie doch jetzt nur solch einfache Probleme hätte! Sie erschienen ihr nun so trivial, so einfach zu lösen.
    Ursula erhob sich vom Bett, packte den Bettrahmen und schob das Bett näher an die Wand, um zu verstecken, was sie in den Holzbalken dahinter geschnitzt hatte: die Adresse und die Namen ihrer Eltern sowie eine Nachricht, um ihnen mitzuteilen, dass sie noch am Leben war. An jedem Tag, den sie überlebte, fügte sie ein Datum hinzu. Ihre eingeritzten Daten bedeckten mittlerweile nahezu den gesamten Bereich, der hinter dem Kopfteil verborgen war.
    Sie hatte damit erst in diesem Gebäude angefangen, wo man sie nach ihrer eigenen Berechnung vor etwa drei Monaten hingebracht hatte. In ihrem früheren Gefängnis hatte es keine Möglichkeit gegeben, so etwas zu tun, da die Wände aus Beton gewesen waren. Warum sie hierher

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