Oliviane – Der Saphir der Göttin
verstanden?«
»Bitte, dann hol’ ich eben das Bündel«, nuschelte Maé und schob sich durch die Tür.
Ein Knirschen verriet Oliviane, dass der Riegel, den sie hier drinnen vermisste, auf der Außenseite angebracht sein musste, aber sie wollte sich im Moment nicht den Kopf darüber zerbrechen, was dies zu bedeuten hatte.
Oliviane sank mit weichen Knien auf den geschnitzten Ebenholzstuhl, der zwischen den beiden Fenstern stand. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und krümmte ihren Körper in einem Schmerz, der ihr ein heiseres Aufschluchzen entlockte. Die Angst, die sie bisher so mühsam unter Kontrolle gehalten hatte, überfiel sie jetzt mit aller Macht.
Sie war nicht so dumm gewesen, von ihrem künftigen Gemahl Freundlichkeit und Wohlerzogenheit zu erwarten. Sogar in die Abgeschiedenheit von Sainte Anne waren die Gerüchte von der Rücksichtslosigkeit und der Mordgier des ›Wolfes von St. Cado‹ gedrungen. Aber sie hatte wenigstens in einem Winkel ihres Herzens gehofft, dass er ihr Blut und ihren Namen, die er so teuer erkauft hatte, respektieren würde. Sie hatte kühnerweise erwartet, ihn mit ihrem Stolz und ihrem Auftreten überzeugen, wenn nicht gar einschüchtern zu können. Welch ein Irrtum!
Von ihm waren keine Freundlichkeit, keine Güte und kein Funke christlicher Nachsicht zu erwarten. Er würde sie, Oliviane de Rospordon, vom Altar weg in den Alkoven zerren und keine Ruhe geben, bis sie schwanger war – bis sie mit ihrem Körper dafür sorgte, dass es auch in Zukunft Widerlinge wie ihn gab.
Und sie? Sie hatte auf die Ehre ihres Hauses geschworen, diese Pflicht zu erfüllen und die Gemahlin dieses Rohlings zu werden, damit die Rospordons wieder zu jenen gehörten, welche die Bretagne regierten.
Heilige Anna, war es das wert? Oliviane versuchte, die Stimme in ihrem Inneren zum Schweigen zu bringen, die dies leugnete, die ihr zuflüsterte, dass sogar ein Leben als rechtlose Magd jenem der Gemahlin dieses Mannes vorzuziehen sei!
Wenn sie das Schicksal an die Seite dieses grässlichen Mannes stellte, dann musste sie ihr Möglichstes tun, um auch diese Aufgabe in ehrenvoller Weise zu erfüllen. Sie hatte die Verpflichtung, ihrem Namen und ihrer Abstammung Ehre zu machen.
Sie suchte, wie sie es von Kind auf gelernt hatte, Trost im Gebet. Als Maé die Kemenate wieder betrat, fand sie die junge Frau auf den Knien. Die Augen geschlossen und die Perlen eines schlichten, hölzernen Rosenkranzes zwischen den schlanken Fingern, betete Oliviane de Rospordon leise und andächtig. Unwillkürlich bekreuzigte sich die Magd ebenfalls. In dieser Burg, deren Herr schon seit Monden vom Teufel besessen zu sein schien, konnte es nicht schaden zu beten.
»Ich habe Euch Euer Essen gebracht«, unterbrach sie dann jedoch entschlossen die fromme Litanei.
Sie winkte einer barfüßigen kleinen Magd im Hintergrund, die ein großes Tablett trug.
Oliviane hatte die Fähigkeit, sich dermaßen in ein Gebet zu vertiefen, dass sie alles um sich herum vergaß, in Sainte Anne zur Perfektion gebracht. Jetzt erhob sie sich langsam und schob den Rosenkranz sorgsam zurück in das kleine Almosentäschchen an ihrem Gürtel.
Maé beobachtete sie mit unverhohlener Neugier.
»Der Herr sagt, er hat Euer Bündel ins Feuer geworfen«, überbrachte sie nun die Botschaft, wegen der Oliviane sie fortgeschickt hatte. »Ihr sollt Euch Kleider und alles, was Ihr braucht, aus den Truhen nehmen, die er Euch zur Verfügung stellt. Er will, dass Ihr Euch umzieht und dass auch die Kleider verbrannt werden, die Ihr jetzt tragt. Sie sind ihm nicht schön genug.«
Oliviane reagierte mit keiner Silbe darauf. Maé fiel lediglich auf, dass ihre Rechte das kleine Stoffbeutelchen umklammerte, in das sie den Rosenkranz gesteckt hatte.
»Ich möchte essen! Hast du mir Wasser gebracht, damit ich meine Hände waschen kann?«, fragte sie nach langem Schweigen. »Außerdem möchte ich baden, ehe ich andere Kleider anziehe. Bitte kümmere dich darum, dass Wasser heraufgebracht wird und dass mir eine Magd zur Hand geht. Möglichst schnell, solange die Glut in den Becken noch Wärme abgibt. Worauf wartest du?«
Maé fuhr mit wirbelnden Röcken auf dem Absatz herum und stürmte wutentbrannt aus der Kammer.
Oliviane bekreuzigte sich erneut, murmelte ein eher hastiges als frommes Dankgebet und fiel hungrig über die Speisen her. Noch nie hatte sie eine solche Fülle herzhafter Köstlichkeiten zur Auswahl gehabt.
Am Ende musste Oliviane jedoch vor halbleeren
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