Oliviane – Der Saphir der Göttin
Feuers hatte man ein paar Decken auf ein Lager aus Farnwedeln gelegt, und Oliviane ließ sich, ohne zu fragen, darauf nieder. Sie lehnte das Brot und den kalten Braten, den man ihr reichte, stumm ab. Sie wollte weder essen noch trinken – sie wollte einzig die Augen schließen und im Schlaf Vergessen finden.
2. Kapitel
Er starrte in das rötliche Glühen des Feuers und versuchte, die eigenen Gedanken unter Kontrolle zu bekommen, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Gedanken, die sich ausschließlich um das stolze Mädchen drehten, das dort so schmal und reglos unter der schweren Decke lag.
Sie war unschuldig und stolz, von bezaubernder Reinheit und unvorstellbarer Vollendung, eine tugendhafte, lautere Schönheit, wie geschaffen dafür, beschützt, verehrt und angebetet zu werden.
Paskal Cocherel würde nichts von alldem tun. Er würde dafür sorgen, dass ihre Unschuld zerstört und ihr Stolz gebrochen werden würde. Es gefiel ihm, Frauen zu demütigen. Und es gab keinen Anhaltspunkt dafür, dass er es mit einer Gattin anders halten wollte als mit seinen zahllosen Huren.
Doch was ging ausgerechnet ihn das Schicksal dieser eingebildeten jungen Frau an? Er hatte einen Schwur geleistet und eine Aufgabe zu verrichten.
»Wacht auf! Wir müssen weiter!«
Die Hand an ihrer Schulter ließ Oliviane erschreckt hochfahren. Hatte sie einmal mehr die morgendliche Frühmette verschlafen?
»Was ...« Sie brach ab, als ihr mit einem Schlag klar wurde, dass sie nicht auf dem harten Strohsack in der Kammer der Novizinnen von Sainte Anne lag.
Der Mann, der sich über sie beugte, bedachte sie mit einem prüfenden Blick. »Wir müssen weiter!«, wiederholte er. »Mir ist befohlen worden, Euch so schnell wie möglich nach Cado zu bringen!«
Ehe Oliviane aufgestanden und halbwegs bei Sinnen war, standen ihre Begleiter bereits wartend bei den Pferden.
Da es auf der Lichtung keinen Prellbock gab, musste sie widerwillig die Hilfe des Anführers annehmen, damit sie in den Damensattel kam. Hastig nahm sie Platz und zog ihre Röcke in züchtige Falten. Inzwischen war es hell genug, dass er den unausgeschlafenen und leicht giftigen Blick bemerkte, mit dem sie ihn bedachte.
»Habt Ihr eigentlich einen christlichen Namen, oder nennt man Euch einfach ›He-du-da‹?«, erkundigte sie sich plötzlich.
In seinem dichten schwarzen Bart blitzten zwei überraschend weiße Reihen kräftiger Zähne. Er lachte. »Man nennt mich Landry, kleine Dame. Den Schwarzen Landry, weshalb auch immer!«
Er machte sich lustig über sie. Oliviane rümpfte die Nase und zahlte es ihm auf rospordonsche Weise heim. »Und mich nennt man Dame Oliviane. Für Euresgleichen bin ich jedoch die Dame de Rospordon!«
Nicht mehr lange, mein schönes Kind! schoss es dem Schwarzen Landry durch den Kopf, aber er sprach es nicht laut aus. Wenn es ihr Genugtuung bereitete, auf dem hohen Ross zu sitzen und dies auch noch zur Schau zu stellen, dann sollte sie dieses Vergnügen ruhig genießen. Es würde auf Cado nicht mehr viel geben, das ihr Freude machen würde.
Als die Reiter im aufsteigenden Nebel eines kalten, durchdringend feuchten Winternachmittages über die Zugbrücke von Cado trabten, war Oliviane von dem Gewaltritt so erschöpft, dass sie Mühe hatte, sich einigermaßen im Sattel zu halten. Die Einzelheiten verschwammen grau und riesig vor ihren Augen. Sie hatte lediglich den Eindruck von monumentalen Mauern, die sie in jeder Himmelsrichtung umschlossen und einsperrten.
Zu beiden Seiten des Torturmes brannten Pechfackeln. Sie beleuchteten einen Innenhof, der mehr einem Heerlager als einer Burg glich. Menschen, Hunde, Hühner, Kinder und Schmutz vermischten sich zu einem lärmenden Kaleidoskop.
»Willkommen in Eurer neuen Heimat, Oliviane de Rospordon!«
Alles in allem gewann Oliviane den Eindruck, dass sich niemand groß um ihre Ankunft zu kümmern schien. Schon gar nicht Seine Gnaden, der selbsternannte Herzog von St. Cado. Der Impuls, ihr Pferd zu wenden und einfach wieder davonzureiten, war nahezu übermächtig.
»Die Braut! Sie haben die Braut gebracht! Die Braut ist da!«
Einzelne Worte erhoben sich plötzlich über den allgemeinen Lärm, und mit einem Schlag verstummte das Getöse um sie herum. Erst als sich alle Köpfe zur Treppe wandten, begriff Oliviane, weshalb. Paskal Cocherel stand plötzlich dort. Auf den ersten Blick erinnerte sie ihr künftiger Gemahl an einen der heidnischen Steine, die man überall in ihrer Heimat fand. Schwer, gedrungen,
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