Olympiareife Nummern
Freitag und meistens bin ich dann am Abend echt ausgepowert, weil ich da gleich früh morgens in die Uni gehe und danach Taxi fahre für den Rest des Tages. Jan versucht es mir immer auszureden, aber ich will mich nicht völlig von ihm aushalten lassen. Er bezahlt sowieso schon das Zimmer in Hamburg für mich. „Hör mal, wir wollen es beide behalten ... und Renate ist doch jetzt zu Tati gezogen und wenn unsere Scheidung erst mal durch ist, dann wird sie ihn heiraten, das hat sie mir schon gesagt... Nick! Hör auf mit der Taxifahrerei!" Bisher habe ich mich erfolgreich dagegen gewehrt. Heute ist's wieder richtig stressig und ich wünschte, ich hätte diesen Job wirklich nicht mehr an der Backe. Ein Anruf nach dem anderen. Ich sehe auf die Uhr. Halb zwölf. „Um zwölf mach ich Feierabend", denke ich gähnend, „meine letzte Fahrt jetzt."
Vor 'ner Kneipe in einer bekannten Straße halte ich. Na, die kenn' ich gut. Hier habe ich doch schon so manchen netten Boy kennengelernt und abgeschleppt ... Damals, als ich noch ganz und gar unsolide war!
Zwei Typen kommen raus, stehen voreinander, reden noch, dann dreht sich der eine um und geht zurück in die Kneipe. Der Andere bleibt noch kurz stehen, dann kommt er zu mir. „Hoffentlich ist er nicht blau", hoffe ich. Er öffnet vorne. „Darf ich hier einsteigen?", fragt er.
Es ist Andreas, der Mathelehrer. Ach, nee. So'n Zufall aber auch.
Er setzt sich rein, nachdem ich den Kram von mir weggeräumt habe, hauptsächlich CDs - wenn keiner drin ist, hör ich gern zwischendurch Musik. Sieht zu mir rüber, dann erkennt er mich erst.
„Oh ... ey, das ist ja'n Ding!", sagt er, „Hi - Nick!" Er ist nüchtern, ich riech keinen Alkohol. „Du fährst Taxi?" - „Blitzmerker", denke ich. „Wohin?", frage ich. Er starrt mich an. „Ganz weit weg", sagt er rätselhaft und seufzt, „?das war ein Scheiß-Abend für mich ..." Aha. Er braucht ein Tröster. „Stress mit der Frau?" Er braucht ja nicht zu wissen, dass ich weiß, aus was für einem Schuppen ich ihn gerade aufgelesen habe. Vielleicht will er auch gar nicht, dass es jemand erfährt, dass er andersrum ist ... schließlich ist er ja Lehrer. „Nee ... mit 'nem Mann ... ich bin schwul", outet er sich ganz selbstverständlich und sieht mich offen an. Auwei, jetzt heißt es, den Überblick nicht zu verlieren. Wie reagieren Heteros üblicherweise?
„Ach? Wirklich? Oh ... das hätt' ich jetzt nicht vermutet." War doch so, oder? „Schockiert?", fragt er.
Kenn' ich auch. Obwohl, ich sage dann immer „Geschockt?"
„Nein ... nur überrascht... du siehst so ... normal aus", höre ich mich sagen. Verdammt, genau das Gleiche hat Jan letztes Jahr zu mir gesagt, als ich's ihm am Strand erzählte. Ich fahre auf die A7. Schließlich muss er auf die andere Seite der Elbe.
„Schwule sehen völlig normal aus", sagt er mir in einem Tonfall, in dem er vermutlich im Unterricht auch den Zusammenhang zwischen Hypothenuse, Ankathete und Gegenkathete erklärt (er ist eben Lehrer!), „ich bin bloß schwul, kein Transvestit oder so." Er sieht mich dabei an, ich spür's. „Katharina hat aber auch immer Pech", denke ich unwillkürlich.
„Die nächste kannst du abfahren", sagt er kurz nach dem Elbtunnel und wir fahren durch die Nacht und schweigen den Rest der Strecke. Er wohnt im Nachbarort. Ich halte an und weiß, was jetzt kommt, bevor er den Mund aufmacht.
„Hast du noch ein bisschen Zeit?", fragt er. „Halt", denke ich, „er weiß doch, dass ich normal bin ...?"
„Es täte gut, mal mit jemandem zu reden, der nicht schwul und trotzdem tolerant ist." Ach so.
„Du hast Glück", sage ich, „du warst meine letzte Tour."
Er hat 'ne coole Wohnung. Nicht vollgestellt... ich mag's, wenn große Zimmer spärlich möbliert sind. „Was trinken?", fragt er.
„Gern! Aber was Nicht-Alkoholisches ... ich muss noch fahren. Wasser oder Saft", sage ich. Er gießt uns beiden Wasser ein und wir setzen uns gegenüber in zwei bequeme Ledersessel.
„Auf dich und deine Freundin", sagt er. Wenn der wüsste ... Ich entspann' mich langsam. Er will mich nicht anmachen, er ist in Ordnung.
„Und? Was lief heute schief?", frage ich ihn. Er winkt ab. „Unschöne Dinge", sagt er, „?es lohnt nicht, darüber noch ein Wort zu verlieren ..." Er seufzt und lächelt. „Und wo wohnst du? Doch nicht in Hamburg, oder?" „Doch, eigentlich schon ... ich bin nur viel bei ... meiner Freundin", sage ich hastig, „sie geht noch zur Schule." „Aha - und wo?" In dem Kaff
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