Olympiareife Nummern
Geburt vor fünf Jahren scheint schon eine Ewigkeit zurück zu liegen. Aber es ist mir vertraut. Klara liegt an mich gelehnt und sieht zu mir hoch. „Danke, Jan", sagt sie leise und drückt meine Hand. Ich erwidere den Druck. Wieder eine Wehe. „Josy", murmelt sie und in dem Moment kommen er und Nick schon ins Schlafzimmer.
„Ach, Klara", sagt Josy verzweifelt, „wie kann ich dir nur helfen?"
„Du kannst ihr das Gesicht abtupfen mit 'nem feuchten Waschlappen", sagt Elisabeth und Josy, der mittlerweile etwas Farbe bekommen hat, setzt sich neben mich und wischt ihr vorsichtig den Schweiß von der Stirn. „Klara, meine Süße", sagt Josy mit zärtlicher Stimme, „ich schäme mich so. Ich bin ein echter Versager ..." „Nein", stöhnt sie, „nur zu sensibel ... Jan!" Eine Wehe. Klaras schweißfeuchter Kopf liegt an meiner Schulter, sie presst meine Hand und stöhnt laut. Die Hebamme sagt: „Ruhig atmen, Klara, ganz ruhig, schön ausatmen ... ja ... gut so ... du hast es gleich geschafft..." Nick geht neben Elisabeth in die Knie.
Wir hatten uns angesehen und ich sah die widerstreitenden Gefühle, die in ihm tobten. Er denkt ja, ich hätte vorhin schon wieder mit Andreas im Bett gelegen. „Aber ... ist das da der Kopf?", fragt er Elisabeth jetzt fassungslos.
„Ja, sicher!", sagt die heiter und zu Katharina, die noch zögernd in der Tür steht, „Komm' her, bei der nächsten Wehe wird das Kleine geboren!"
Klara scheint zu schlafen. Ihre Augen sind geschlossen. „Nochmal Kraft sammeln", sagt die Hebamme und tunkt ständig einen Schwamm in den Kaffee, den sie Klara zwischen die Beine presst.
„Damit der Damm nicht reißt", hatte sie gesagt. Es ist erstaunlich, welch eine gelassene Ruhe dieses zierliche Personellen verbreitet. Woher kenn' ich die nur? Ob sie irgendwo im Supermarkt an der Kasse arbeitet? „Jetzt", flüstert Klara und sie schlingt rückwärts ihre Arme um meinen Hals und gleich darauf sehe ich zwischen ihren Beinen ein feuchtes dunkles Köpfchen. Nick starrt mich atemlos an, dann sieht er gemeinsam mit Katharina staunend zu, wie Klara unter lautem Schreien mit dieser letzten gewaltigen Wehe ihr Kind auf die Welt bringt. Auf einmal reden alle wild durcheinander. „Es ist da, Klara, du hast dein Kind!", sagt Elisabeth. „Mein Gott, Klara, Liebste, du hast's geschafft!", schreit Josy begeistert.
„Nick, so klein, guck' mal...!"
„Das ging ja so schnell", höre ich Nick da und seine Stimme kippt, „aber so wie ich das sehe, ist es kein Mädchen ..." Das kleine schwarzhaarige Bündel wird von Elisabeth gerade vorsichtig auf Klaras Bauch gelegt. Josy und ich haben ihr richtig auf 's Bett geholfen und legen eine Decke über Mutter und Kind.
„Was?", sagt Klara da, als sie Nicks Ausspruch vernimmt und hebt gleich wieder die Decke hoch, um nachzugucken. Josy sieht auch ziemlich gespannt aus. „Ja, aber ...", sagt Josy irritiert und Klara lacht. „Ach, Josy", sagt sie, „ist das nicht eine schöne Überraschung?"
„Aber ... wir haben doch gar keinen Jungennamen", sagt der frischgebackene Vater und wirkt regelrecht verzweifelt mit seiner gerunzelten Stirn und dem verwirrten Dackelblick. Klara sieht mich an.
„Mir fällt spontan ein guter ein", sagt sie, „was hältst du von Jannick'? Mit Jott am Anfang?"
Der Kleine macht ein Geräusch und plötzlich sind wir alle mucksmäuschenstill.
Es ist so eine Art Krächzen und Wimmern in eins. Nick ist aufgestanden und ums Bett herum gegangen und er sieht genau wie Katharina und ich gerührt und fasziniert auf dieses kleine Wesen, das seit ein paar Minuten zum ersten Mal allein atmet und alles, aber auch wirklich alles erst lernen muss, die wenigen Reflexe mal ausgenommen, mit denen es ausgerüstet und hier gerade angekommen ist, als wäre es gestrandet.
Wir sehen uns an, er und ich, und Katharina neben mir legt plötzlich den Arm um uns beide und wir umarmen sie und dann halten wir uns plötzlich hinter ihrem Rücken an der Hand. Sie sieht zu mir und dann zu ihm. „Keinen Streit mehr", sagt sie leise und dann lässt sie uns los und setzt sich zu Klara und Josy auf's Bett, die ihren Nachwuchs bewundernd anstaunen.
Wir sind verlegen, aber wir halten uns dennoch an der Hand. Seine Hand ist ungewohnt warm. Ich werfe ihm verstohlen einen Blick zu.
„Dietlinde hat ihm wieder die Haare geschnitten", denke ich. Jetzt wird er in der nächsten Zeit wieder so jung
aussehen. Ich hab's ihm noch nie gesagt, weil ich weiß, dass er sich darüber aufregen
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