Oma ihr klein Häuschen

einer von ihnen eine dieser randlosen Brillen tragen, wie sie zurzeit modern sind. Nein, sie sind der Zeit immer mindestens einen Schritt voraus und tragen dieselben klotzigen Horngestelle wie Johannes’ russische Freunde. Auf der Beerdigung habe ich die Lage natürlich vollkommen falsch eingeschätzt: Die Russen kamen mit ihren Hornbrillen aus der Sowjet-Ära modisch nicht aus der Steinzeit, sondern lagen weit vorne!
    Die Gastronomie an Bord wird ein Kulturschock für die Werber sein, denn die Küche ist vollkommen Sushi-frei, aber immerhin gibt es einen Latte macchiato, wenn auch mit Sicherheit von der falschen Firma und aus dem falschen Automaten. Plötzlich sehe ich, wie mir der Creativ-Direktor mit einer Bockwurst in der Hand vom Achterdeck zuwinkt. Kurz darauf klingelt mein Handy.
    «Habt ihr das extra gemacht?», brummt er mich an.
    Er erinnert mich an Roland Beucker, meinen früheren Chef. Aber diesmal kann ich wirklich nichts dafür.
    «Nee, das ist die Macht der Natur.»
    «Das Brainstormen heute Abend muss dann ausfallen.»
    «In spätestens zwei Stunden ist die Fähre wieder frei», versuche ich ihn zu beruhigen.
    «Von mir aus kann es auch länger dauern. Die Hälfte von unserer Mannschaft ist schon halb betrunken, es ist einfach herrlich! Von dieser Party werden wir noch nach Jahren reden. Es ist ein bisschen
Titanic
für Arme.»
    Da lächelt der Eventmanager Sönke Naumann das breiteste Lächeln, das er draufhat: «Super! Ich lasse Sie nachher retten.»
    Was soll ich jetzt auf dem Kai sinnlos auf und ab tigern, ich springe in meinen Golf und fahre nach Nieblum.
     
    In unserer Familie hat sich einiges getan.
    Maria hat die Urne mit Johannes’ Asche aus dem Flensburger Krematorium persönlich beschlagnahmt und Oma übergeben. Selbstverständlich wurde sie nicht vor einem lachenden Seehund, sondern von einem Krabbenkutter aus dem Meer übergeben. Hansen, der Bestatter, hat sich so sehr aufgeregt, dass er sich fast an seinem Kaugummi verschluckt hätte. Arne war inzwischen bei Cord in Frankfurt und ist mit blütenweißen, geraden Zähnen aus dessen Labor zurückgekehrt. Dafür erhalten Cords Exfrau und seine Tochter bei ihrem ersten Föhr-Urlaub einen kostenlosen Surfkurs. Arne hat übrigens keinen Internethandel aufgemacht, sondern einen Surfbrettverleih in Utersum übernommen.
    Vor Oma ihr klein Häuschen steige ich aus.
    Mit dem frischen Reetdach und den Fenstern ist es ein Traum geworden. Alle Riewerts haben kräftig mit angepackt und alles von Grund auf renoviert. Maria und ich haben Arne und Regina ausgezahlt, Oma und Cord haben uns großzügig ihren Anteil überlassen. Regina fährt jetzt den ersehnten neuen Mercedes, den sie uns kürzlich sogar für einen Kurzurlaub auf dem Festland geliehen hat.
    In diesem Moment kommt die Sonne kurz heraus und scheint durch die blanken Scheiben auf das frischbezogene Bett im Schlafzimmer. Manchmal kann ich es immer noch nicht fassen, dass ich hier zusammen mit Maria lebe. Bis zurFlut sind es noch zwei Stunden, und sie hat frei – diese zwei Stunden werden wir ausnutzen.
    Schöner kann es auch im Paradies nicht sein, das macht mir fast schon Angst.

 
    Dieses Buch ist fiktiv.
    Die in diesem Buch dargestellten Personen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Informationen zum Buch
    Das Glück wohnt hinterm Deich.
     
    Seit einem Jahr ist Sönke Single, und jetzt hat er auch noch seinen Job verloren. Da kommt ihm das Verwandtentreffen bei seiner geliebten Oma auf Föhr gerade recht. Doch Oma ist verschwunden, und der Veganer-Onkel wütet gegen seinen Bruder, der schon mal Hund gegessen hat. Wie soll man sich da über das gemeinsame Erbe, Omas schönes reetgedecktes Haus direkt hinterm Deich, einigen? Die Lösung aller Streitigkeiten findet Sönke mitten im Wattenmeer – zusammen mit seiner Cousine Maria, die er schon immer toll fand. Denn wo ein Wille ist, ist auch ein Strandweg.
     
    «Einfach richtig nette Sommerlektüre!» . (NDR)
     
    «Es ist diese Leichtigkeit, die Mommsens Romane so beliebt und lesenswert macht; er erzählt wie der Freund von nebenan. Leichtigkeit bedeutet bei ihm nicht Leichtgewichtigkeit, sondern leichtes Skizzieren durchaus ungewöhnlicher Verhältnisse.» . (Nordwest-Zeitung)
     
    «Es ist Mommsen gelungen, eine unterhaltsame Familiengeschichte zu schreiben, ohne die Ungeraden des Lebens auszulassen. Es wimmelt nur so von Konflikten, Erbstreitigkeiten mit perfidem