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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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zu locken, haben wir es in der Küche leichter.»
    Jackie war bereits auf dem Weg und hatte fast die Toreinfahrt erreicht. Sie sahen sie kurz im Licht des Wachhäuschens, sahen ihr Nicken und das Salutieren des Milizsoldaten, und dann war sie im Torweg verschwunden.
    Humphrey und Miss Baker standen im Windschatten der Hauswand und warteten. Miss Baker war so in sich gekehrt, daß sie Humphrey leid tat. Er wußte, was für ein Kampf in ihr vorging und wie sie sich überwinden mußte, um zuzugeben, daß sie sich geirrt hatte. Aber er wußte auch, daß ihre Dickköpfigkeit es ihr geradezu unmöglich machte, einen einmal gefaßten Entschluß zu ändern.
    «Humphrey», sagte Miss Baker schließlich. «Du kannst morgen zur Botschaft gehen und Sir Reginald sagen, daß ich meinen Plan aufgegeben habe. Ich sehe jetzt ein, daß es viel vernünftiger ist, so schnell wie möglich nach England zurückzukehren.»
    Das kam so unerwartet, daß Humphrey einen Augenblick lang nicht antworten konnte.
    Er hätte am liebsten seine Tante genommen und mit ihr einen Walzer getanzt. Er hätte am liebsten gebrüllt und gelacht und das Ende seiner Mission in Moskau gefeiert. Er konnte noch gar nicht glauben, daß das Ziel erreicht war und daß er vielleicht schon morgen Tante Lavinia nach England zurückbegleiten würde. Ein Stein war ihm vom Herzen gefallen, und der Triumph machte ihn fast benommen.
    Er wäre - wie absurd! - am liebsten hinter Jackie hergelaufen und hätte ihr die frohe Botschaft überbracht. Schließlich war es Jackie, die das vollbracht hatte. Sie war es, die den Plan mit der Kirche ausgeheckt und so Miss Baker zur Vernunft gebracht hatte. Er wollte den Triumph mit ihr teilen. Aber es waren bereits drei Minuten vergangen, und er wußte, daß sie in diesem Augenblick von Reportern umringt war.
    Er lächelte auf Miss Baker hinunter. Zum erstenmal seit seiner Ankunft in Moskau war er mit ihr einverstanden.
    «Danke, Tante Lavinia», war alles, was er sagte: «Wenn du bereit bist, wollen wir jetzt losgehen.»

17

    Jackies Ablenkungsmanöver im Treppenhaus waren von Erfolg gekrönt. Der Schrei, mit dem sie begrüßt wurde, war nicht nur laut genug, um Herb Wilson und seine Gäste von ihrem Pokerspiel fortzulocken, sondern ließ auch fast alle Mitbewohner an ihren Türen erscheinen. Jackie entschuldigte sich bei ihnen und wehrte Fragen der Journalisten ab, und damit vergingen schon einmal zehn Minuten, ehe sie überhaupt im vierten Stock angelangt war.
    Dort nahmen die besorgten Erkundigungen nach ihrem Wohlergehen («Ihr Gesicht sieht ganz in Ordnung aus, Jackie. Muß ja ein toller Chirurg gewesen sein, der das heute vormittag gemacht hat...») und die erbosten Fragen, wie sie eigentlich aus ihrer Wohnung hinausgekommen sei, eine solche Lautstärke an, daß sie sich keine Gedanken mehr darum zu machen brauchte, ob sie Humphrey genug Zeit gab, Miss Baker durchs Fenster zu heben. Sie konnten, falls das Fenster wieder verriegelt war, ebensogut und ebenso unbemerkt durch die Vordertür ins Haus kommen.
    «Es tut mir sehr leid, daß Sie alle hier herumgesessen und Ihre Zeit verschwendet haben», sagte Jackie liebenswürdig, als sie sich schließlich Gehör verschaffen konnte. «Es war den ganzen Abend über niemand in meiner Wohnung.»
    «Um sieben bist du ja selbst noch ans Telefon gegangen», sagte Stewart Ferguson anklagend.
    «Ihr habt einen solchen Lärm auf der Treppe vollführt und dauernd geklingelt, daß ich Kopfschmerzen bekommen habe und spazierengegangen bin.»
    «Wie bist du denn rausgekommen, ohne daß wir dich gesehen haben?»
    «Ich habe alle meine Leintücher zusammengeknotet und bin in den Hof runtergeklettert.»
    «Wohin bist du gegangen?»
    «Zum Roten Platz. Ich habe mich auf Lenins Grab gesetzt und bin nun zurückgekommen. »
    So ging es weiter hin und her, bis es selbst der hartnäckige Stewart aufgab. Und die ganze Zeit hatte sich Jackie langsam immer näher an ihre Wohnungstür herangepirscht.
    «Wahrscheinlich sind Sie alle sehr müde», sagte sie schließlich mit der Hand am Türknopf. «Genau wie ich. Wenn Sie gern nach Hause und ins
    Bett gehen wollen, dann gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß diese Tür bis frühestens morgen neun Uhr nicht mehr geöffnet wird.»
    «Und die Leintücher?»
    «Die sind doch ziemlich unbequem. Wenn ich morgen zum Dienst gehe, werde ich durch die Vordertür kommen.»
    Jackie steckte den Schlüssel ins Schloß und sah sich um, ob einer der Herren schon zum Angriff auf die

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