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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Telscombe
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herumstehen, aber mit mir hat das nichts zu tun.»
    Sie schüttelte Jackies Arm ab und ging weiter. Humphrey öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Jackie hob die Augenbrauen, zuckte die Schultern und folgte Miss Baker.
    Die Milizsoldaten, die zigarettenrauchend an der Tür gelehnt hatten, nahmen Haltung an und wurden amtlich. Einer von ihnen forderte Miss Baker in scharfem Ton auf, ihre Papiere zu zeigen, wie Jackie ihr übersetzte.
    «Sagen Sie diesem törichten Menschen, daß ich keine habe und auch nicht einsehe, warum er sie sehen will», erwiderte Miss Baker mit Würde.
    Jackie milderte diese Antwort in der Übersetzung stark und sagte den Soldaten freundlich, wenn auch in grammatikalisch nicht ganz einwandfreiem Russisch, daß Miss Baker eine Touristin sei, die sich für alte Kirchen interessiere und diese Kirche, die sie schon einmal gesehen habe, noch einmal besichtigen wolle.
    «Diese Kirche ist zum Baudenkmal des Volkes erklärt worden», leierte der Milizsoldat ausdruckslos herunter. «Die Besichtigung muß beim Ministerium für das Bauwesen beantragt werden.»
    «Blödsinn», sagte Miss Baker, als Jackie ihr das übersetzte. «Sie ist ja nicht mal neunzehntes Jahrhundert. Wenn sie älter ist als fünfzig Jahre, sollte mich das sehr überraschen. Und gestern war von Baudenkmal nicht die Rede. Sagen Sie ihm, daß Freunde von mir, die hier wohnen, mich eingeladen haben.»
    «Ich glaube, wir sollten Ihre Freunde lieber nicht -» begann Jackie, als sich die schwere Kirchentür öffnete und ein Mann und eine Frau heraustraten. Die Frau war breit und kräftig, ihr rundes, freundliches Gesicht war von einem fest verknoteten weißen Kopftuch umrahmt. Der Mann war klein und schmächtig und hatte offensichtlich Angst vor den Miliz-Soldaten. Aber Miss Baker war schon die Stufen hinaufgeeilt und hatte die Hand der Frau ergriffen.
    «Das ist die Frau, von der ich Ihnen erzählt habe», rief sie Jackie über die Schulter zu. «Die Frau mit der Blinddarmoperation. Und ihr Mann.»
    Sie deutete mit einer Handbewegung in die Richtung des ängstlichen kleinen Mannes, der in seinem Bemühen, sich im Hintergrund zu halten, fast die Treppe herunterfiel.
    Aber wenn er auch der Situation nicht gewachsen war, so zeigte seine Frau doch nicht die geringsten Skrupel, Miss Baker zu verleugnen.
    Ihr rundes Gesicht wurde streng und sie sah Miss Baker fremd an. Dann entzog sie ihr sanft die Hand.
    «Diese ausländische Dame muß sich irren. Ich habe sie noch nie gesehen.» Sie segelte majestätisch die Treppe hinab, Arm in Arm mit ihrem Mann, um ihn zu stützen, und sie verschwanden in der Dunkelheit, ohne sich noch einmal umzusehen.
    «Ich kann mir nicht denken, daß sie mich nicht erkannt hat», rief Miss Baker aus und sah ihnen betroffen und verletzt nach.
    «Natürlich hat sie Sie erkannt», beruhigte Jackie sie. «Aber es verlangt große Zivilcourage, das in Gegenwart von zwei Milizsoldaten zu sagen. Ich kann ihr’s nicht verdenken - sie hat eine ganze Portion mehr Charakter als ihr Mann.»
    Humphrey, dem unter den starren Blicken der Milizsoldaten ungemütlich wurde, versuchte, Miss Baker fortzuziehen.
    «Du siehst doch, sie lassen dich nicht rein, Tante Lavinia. Wenn du hier stehen bleibst, kommen sie vielleicht noch auf dumme Gedanken und verhaften dich.»
    «Das können sie nicht.» Miss Baker war sich ihrer Bürgerrechte so sicher, als stünde sie vor der Westminster-Abtei. «Ich habe nichts verbrochen.»
    Aber sie war vernünftig genug zu erkennen, daß die Milizsoldaten offenbar ihre Befehle hatten und niemand in die Kirche lassen würden.
    Ohne ein Wort wandte sie sich um, nahm Humphreys Arm und verließ das Kirchengelände durch das Loch in der Mauer. Erst als sie am Ende des Hügels und wieder im hellen Licht der Straßenlaternen angekommen waren, fand sie zu ihrer alten rebellischen Einstellung zurück.
    «Ich werde einfach nach einer Woche noch einmal hingehen und sehen, ob ich dann hineinkomme. Wenn ich doch nur Anna oder ihre Familie gesehen hätte, dann wäre alles ganz anders gekommen», sagte sie. «Anna hätte den Polizisten erklärt, daß ich eine gute Bekannte von ihr bin, und diese ganze völlig absurde Geschichte wäre nicht passier.»
    Sie waren unter einer Laterne stehengeblieben. Humphrey wollte gerade vorschlagen, wieder zur Bushaltestelle zurückzugehen, als Miss Baker einen erfreuten Schrei ausstieß und auf ein junges Paar zueilen wollte, das Arm in Arm die Straße herunterkam.
    Fast im selben

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