Oma packt aus
gestern mit Lippenstift auf den Gips gemalt hat, ist jetzt auch weg.«
Ach, der war das gewesen. Dann hatte es wohl doch nicht genügend gefunkt zwischen ihm und Sissi. Ein ziemlich großer Teil meines angeschlagenen Selbstwertgefühls freute sich darüber.
Jan fuhr los. Meiner Meinung nach nicht langsamer als die Carabinieri.
Rüdiger jaulte vor Schreck auf. Lauter als jede Sirene. So kamen wir flott aus der Stadt und bretterten über die Landstraße.
»Zweieinhalb Stunden ist die berechnete Fahrtzeit«, erklärte Sissi.
»Das schaffen wir schneller«, gab Jan zurück und holte aus dem alten Kleinbus alles raus, was rauszuholen war.
Die teils fruchtbare, teils öde Landschaft flog an uns vorbei. Niemand hatte einen Blick dafür.
»Wie ist Rüdiger denn so als Spürhund?«, wandte sich Mama an Irene.
»Weiß ich nicht genau. Aber er hat zu Hause mal ein Dolce & Gabbana-Kleid von mir wiedergefunden. Nur leider war es danach nicht mehr zu gebrauchen.«
»Mich hat er neulich aber gerettet«, warf ich zu seiner Verteidigung ein.
»Stimmt«, sagte Irene. »Ich habe jedenfalls ein T-Shirt von Klara mitgenommen. Daran kann Rüdiger jetzt mal schnüffeln.«
Das tat er denn auch ausgiebig, bevor er seine nähere Umgebung erfolglos nach Essbarem absuchte.
Mamas Vertrauen in ihn wurde dadurch nicht gestärkt. »Hauptsache, er bleibt nicht in einer dieser Höhlen stecken«, orakelte sie.
Wir erreichten die Vororte von Matera in knapp zwei Stunden, allerdings dauerte es vierzig Minuten, bis wir uns durch den Verkehr in der Innenstadt gekämpft hatten.
Endlich fuhren wir auf einen Parkplatz, von dem aus es zu Fuß ins Viertel der Sassi ging.
Hoch ragten die Höhlenwohnungen vor uns auf. Aus der Ferne wirkten sie wie übereinandergestapelte Spielzeughöhlen. Der weiche Tuffstein glänzte warm und golden im Nachmittagslicht, aber die Schönheit konnte keinen von uns täuschen. Als wir ausstiegen, verstummten wir alle gleichzeitig, und jeder stellte sich dieselbe Frage: Wie um Gottes willen sollten wir in diesem unendlich anmutenden Labyrinth Klara wiederfinden? Vor allem, wenn sie nicht gefunden werden wollte?
Rüdiger bellte und raste auf einen sonnengelben Bus zu. »Er hat Witterung aufgenommen!«, rief Irene.
Ja, klar. Von Margherita. Die stand nämlich dort neben Paul, der zwei Männer befragte. Offenbar Busfahrer und Beifahrer. Beide erschraken, als ein Kalb auf sie zugaloppierte, und im Bus wurden die Kameras gezückt. Aber Rüdiger hatte es nur auf Margherita abgesehen und wedelte fröhlich mit dem Schwanz.
»Es tut mir herzlich leid, Herr Liebling«, sagte daraufhin der eine Mann, ein Glatzkopf mit Bierbauch. »Aber wir müssen wirklich weiter, und mehr können wir Ihnen beim besten Willen nicht erzählen. Das Mädchen ist irgendwo in östlicher Richtung verschwunden. Aber das haben wir Ihnen ja schon dreimal erklärt.«
»Wir haben den Bereich abgesucht«, erwiderte Paul. »Dort ist Klara nicht. Bitte versuchen Sie, sich noch an irgendetwas zu erinnern. Jedes noch so kleine Detail könnte wichtig sein.«
»Wie mein Kollege schon gesagt hat«, erwiderte der andere Mann, groß und dünn wie eine Bohnenstange. »Mehr wissen wir nicht. Und nun müssen Sie uns entschuldigen. Die Herrschaften erwarten, dass sie in zwei Stunden pünktlich zum Abendessen in Tarent sind. Ältere Leutchen können bei Verspätungen sehr grantig werden.«
Mit einem tiefen Seufzer wandte sich Paul ab.
Busfahrer und Beifahrer beeilten sich wegzukommen, und gleich darauf rollte der sonnengelbe Bus vom Parkplatz.
»Ihr wart ja schnell«, wunderte sich Margherita.
Jan hob bescheiden die Schultern, Sissi hielt ihr zur Erklärung ihr iPhone hoch.
Wir anderen waren noch dabei, uns von der Raserei zu erholen.
Paul sah mich an, und ich meinte, so etwas wie eine Entschuldigung in seinem Blick zu entdecken. Konnte aber auch die Sonne sein, die seine Augen golden aufleuchten ließ.
Margherita klärte uns über die bisherige erfolglose Suche auf. »Wir sind in die Richtung gelaufen, die uns der Busfahrer angezeigt hat, haben ungefähr dreißig Höhlenwohnungen abgesucht und jeden gefragt, dem wir begegnet sind. Keine Spur von Klara.«
»Aber sie muss irgendwo dort oben sein«, fügte Paul mit brüchiger Stimme hinzu.
Sekundenlang versetzte ich mich in ihn hinein. Gerade erst eine Tochter bekommen, und schon war sie wieder weg. Musste hart sein. Selbst wenn die Deern nicht zwingend liebenswert war.
»Wo sind eigentlich deine
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