Omega
Hutchins?«, fragte das Taxi, als sie ihre Karte durch den Schlitz gezogen hatte.
Aus einer Laune heraus sagte sie: »Georgetown« und nannte die Adresse der Galerie an der Wisconsin Avenue.
»Vielen Dank«, sagte das Taxi artig vor dem Abheben.
Sie flogen nordwärts über den Potomac, der seit den Tagen Roosevelts deutlich angeschwollen war. Constitution Island schimmerte im Licht der dort angesiedelten öffentlichen Gebäude in der zunehmenden Dunkelheit. Die Lincoln-, Jefferson-, Roosevelt- und Brockman-Denkmäler verharrten unbeeindruckt auf ihren Sockeln. Und das Alte Weiße Haus mit seiner US-Flagge mit den 52 Sternen versteckte sich hinter seinem Bollwerk. Ein Kreuzer, hell erleuchtet, bewegte sich langsam flussaufwärts.
An diesem Abend herrschte dichter Verkehr. Ein Shuttle hob von Reagan ab und flog in Richtung Rad. Überall waren Schwebebahnen unterwegs. Hutch rief Tor an, um ihm zu sagen, dass sie sich verspäten werde.
»Was gibt es denn in Georgetown?«, fragte er.
»Ich will in die Galerie.« Ein Ort, den Tor natürlich kannte. Vor einigen Jahren hatte er viele seiner Werke dort gezeigt.
»Warum?«
»Bin nicht sicher. Aber ich will mir Guilberts Sturmzentrum ansehen.«
Das genügte offenbar. Beinahe glaubte sie, er hätte mit so etwas gerechnet.
Der Flug dauerte nur wenige Minuten. Das Taxi landete im Wisconsin Park und erkundigte sich, ob es warten solle.
»Nein«, sagte sie, »das wird nicht nötig sein. Danke.«
»Wie Sie wünschen, Ms Hutchins.«
Sie lächelte. Die KI sprach mit britischem Akzent.
Die Galerie befand sich auf der Ostseite der Wisconsin Avenue, die ursprünglich für Kutschen und Pferde erbaut, später von motorisierten Bodenfahrzeugen benutzt worden war und heute ganz den Fußgängern und, wieder, Pferdekutschen zur Verfügung stand. Sie legte ihren Commlink an das Lesegerät und kletterte hinaus.
In Georgetown herrschte jeden Abend Feierstimmung. Die Restaurants waren gut besucht, Touristen und einheimische Kunden pilgerten durch die Straßen, Musik und Gelächter erscholl aus einem Dutzend Cafés, und im Park unterhielt ein Possenreißer eine Gruppe Kinder.
Die Georgetown Art Gallery befand sich zwischen einem Möbelladen und einem Antiquitätengeschäft. Die Architektur beider Läden deutete an, dies wäre die Sorte Geschäft, in dem man Qualitätsware, die ihren ursprünglichen Glanz verloren hatte, zu günstigen Preisen erwerben könne. Die Vordertür der Galerie stand offen, und sie konnte zwei Männer sehen, die sich unterhielten. Während sie zusah, verlegten die beiden Männer ihr Gespräch ins Innere des Gebäudes, und die Tür fiel ins Schloss.
Die Galerie erstreckte sich über zwei Geschosse, die durch eine klapprige Treppe miteinander verbunden waren. Die Räume rochen nach Möbelpolitur und Zedernholz, und das Licht war gedämpft. Die Innenausstattung war erhaben, formell, streng, als wäre sie in der Zeit zurückgeschritten und im 22. Jahrhundert gelandet.
Obwohl sie mit einem Künstler verheiratet war, wusste sie wenig über die diversen Schulen oder auch nur über ihre berühmten Vertreter, also wanderte sie vorbei an Landschaften und Porträts von Menschen, die im Stil eines anderen Jahrhunderts gekleidet waren. Es gab auch ein paar ausgefallenere Gemälde, eigentlich nur geometrische Muster, die sie aufwühlten, ohne dass sie wusste, warum. Tor hatte versucht, ihr einige der Techniken nahe zu bringen, aber sie hatte ihn spüren lassen, dass sie in dieser Hinsicht ein Philister war, und er hatte aufgegeben.
Von den beiden Männern abgesehen, konnte sie keine Menschenseele erkennen. Die Männer beendeten ihr Gespräch, einer ging von dannen, der andere kam mit einem höflichen Lächeln auf den Lippen auf sie zu. »Guten Abend«, sagte er, und sie erkannte Eugene Hamiltons Stimme. »Darf ich Ihnen helfen?«
»Mr Hamilton«, sagte sie. »Mein Name ist Hutchins. Wir haben vorhin miteinander gesprochen.«
Er strahlte. »Ah, ja, die Deshaies.«
»Nein«, sagte sie. »Eigentlich hatten wir über Guilbert gesprochen.«
»Sturmzentrum.«
»Ja.«
»Das ist gleich dort drüben.« Er führte sie in den hinteren Teil des Gebäudes und von dort aus in ein Nebenzimmer. Gleich auf der linken Seite sah sie Sturmzentrum. Und er hatte Recht. Die Wiedergabe auf dem Monitor war dem Werk in keiner Weise gerecht geworden.
Die Wolke war lebendig, sie schäumte und leuchtete durch eine innere Kraft, und sie kam auf sie zu. Aber sie war nicht hinter ihr her,
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