Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
der Mafiaherrschaft auf italienischem Gebiet.
6 MUSSOLINIS SKALPELL 1922 BIS 1943
Sizilien: Der letzte Kampf gegen die Mafia
Die faschistische Bewegung wurde im März 1919 von einer Handvoll aggressiv nationalistisch gesinnter Kriegsveteranen in Mailand gegründet. Die erste Phase ihres Aufstiegs war die gewalttätigste: Faschistische Stoßtrupps brachen Streiks, plünderten Gewerkschaftsbüros, entstellten und ermordeten ausgewählte Linke und gerierten sich vor der Öffentlichkeit als Verteidiger der
Patria
gegen die rote Gefahr. Der typische
squadrista
trug zum Fez ein schwarzes Hemd, seine Waffen waren ein Knüppel und ein Kanister Rizinusöl, ein industrielles Schmiermittel, das den Opfern gewaltsam eingeflößt wurde und heftige Bauchkrämpfe und Durchfall verursachte.
Viele Industrielle und Großgrundbesitzer befürworteten diese rücksichtslosen Säuberungsaktionen gegen die Linken. Präfekten und hochrangige Polizeibeamte standen oft tatenlos dabei. Die alten Ränkeschmiede im Parlament glaubten voller Zuversicht, dass sie die gewaltbereiten Schwarzhemden in die Schranken weisen könnten, sobald diese die linken Umstürzler in die Knie gezwungen hätten.
Mussolini würde sie bald eines Besseren belehren. Im Oktober 1922 inszenierte der Duce den »Marsch auf Rom« und forderte eine wankende Regierung auf, ihn an die Macht zu lassen. Andernfalls drohe der Hauptstadt eine Invasion von Schwarzhemden und die Gefahr eines Bürgerkriegs. Da Mussolini um kein Jota nachgab, wurde er seinem Willen gemäß zum Premierminister ernannt.
Vor dem Marsch auf Rom hatte sich die Bewegung der Schwarzhemden vor allem auf den Norden und die Mitte Italiens konzentriert. Doch kaum hatten die Faschisten das Ruder an sich gerissen, flogen ihnen auch im Süden die Herzen zu. Mit gewohnter Schamlosigkeit gingen die alten politischen Granden im südlichen Kalabrien und im Westen Siziliens mitsamt ihren Wahlagenten von der Mafia und ihrem schäbigen Klientel daran, sich bei den Faschisten anzubiedern, die ihnen jetzt den Zugang zum Ämtertrog in Rom versprachen. Im Süden lief der
Partito Nazionale Fascista
Gefahr, ausgehöhlt zu werden, zum Vorwand für die altbekannte Vetternwirtschaft zu verkommen, in der die Ganoven so gut gediehen. Die wenigen echten Faschisten waren enttäuscht. Bereits Wochen nach dem Marsch auf Rom litten die faschistischen Verbände in Reggio Calabria und Palmi an »akuter Splitteritis«. Auf Sizilien wetterten Schwarzhemden schon sehr bald gegen »faschistisierte Mafiosi«, die in einigen Stadträten das Sagen hatten.
Die faschistische Bewegung hatte solche Schönwetter-Anhänger zunächst begrüßt. Doch Mussolini verfolgte höhere Ziele. 1924 veränderte er das Wahlrecht, um dem
Partito Nazionale Fascista
im Parlament die absolute Mehrheit zu garantieren. Nur wenige Wochen nach dem darauffolgenden Wahlsieg der Faschisten entführten und ermordeten faschistische Killer Giacomo Matteotti, den Anführer der Sozialisten. Das Verbrechen rief im ganzen Land Entrüstung hervor. Doch erneut zögerten der König und führende liberale Politiker, den Duce aus dem Amt zu stoßen. Damit hatte die Demokratie ihre letzte Chance verspielt. Am 3 . Januar 1925 erklärte Mussolini sich zum Diktator. Jetzt blickte er gen Süden und fand den idealen Feind für sein neues Regime: die Mafia. Der Kampf gegen kriminelle Vereinigungen war von nun an eine unverzichtbare Front im kriegerischen Nationenbildungsprojekt des Duce.
Wie so oft, wurde der Takt der Kriminalgeschichte auf Sizilien vorgegeben: Im Oktober 1925 erteilte Mussolini einem ehrgeizigen Polizisten aus dem Norden mit Namen Cesare Mori die Vollmacht, auf der gesamten Insel gegen die Mafia vorzugehen. Mori hatte sich von ganz unten beziehungsweise vom Waisenhaus in Pavia bei Mailand, in dem er aufgewachsen war, die Karriereleiter emporgearbeitet. Die Aufgabe in Sizilien gab ihm Gelegenheit, Geschichte zu schreiben; die Geschichte kennt ihn heute als den »eisernen Präfekten« und seinen Feldzug gegen die Mafia als »Operation Mori«.
Der eiserne Präfekt begann mit einem Angriff auf die Ortschaft Gangi, an der östlichsten Spitze der Provinz Palermo auf einem Hügel gelegen. Alle Zugangswege nach Gangi wurden gesperrt, jeder Nachrichtenverkehr untersagt. Kriminelle wurden mit eklatanter Rücksichtslosigkeit aus ihren Verstecken getrieben: Ihre Frauen und Kinder wurden als Geiseln genommen, ihre Waren zum Spottpreis verschleudert, ihre Tiere auf dem Marktplatz
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