Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
bringen. Im Jahr 1927 begann eine lange Abfolge von Mafiaprozessen – der größte davon gegen 450 Angeklagte –, die erst 1932 abgeschlossen sein würde. Zu diesem Zeitpunkt hatten viele Menschen die Gewissheit, über die sizilianische Mafia im Präteritum sprechen zu können. Einer davon war der Eiserne Präfekt.
Cesare Mori veröffentlichte 1932 seine Memoiren,
Con la Mafia ai ferri corti
, (»Auf Kriegsfuß mit der Mafia«). Nachdem er sein Skalpell gegen das organisierte Verbrechen auf Sizilien gezückt hatte, griff Mori zum Meißel, um seine eigene Version vom Ableben der Mafia in den Marmor der Geschichte zu hauen.
Die Wurzel des Mafiaübels, so der Eiserne Präfekt, sei das »kindliche Gemüt« der Sizilianer. Diese ließen sich allzu leicht vom hochmütigen Gehabe der Mafiosi beeindrucken, glaubte Mori. Um sie auf seine Seite zu ziehen, habe der faschistische Staat die Mafia daher mit den eigenen Mitteln geschlagen und sich mit Männern physische Präsenz verliehen – Männern wie Cesare Mori –, die noch härter und charismatischer seien als die Mafiosi.
Der Eiserne Präfekt äußerte allerdings Zweifel an der Theorie, dass die Mafia eine eingeschworene kriminelle Vereinigung, eine »Ehrenwerte Gesellschaft«, sei.
»Die Mafia ist meiner Meinung nach eine merkwürdige Betrachtungs- und Verhaltensweise, die durch seelisch-geistige Nähe Männer einer besonderen Veranlagung und mit zweifellos ungesunder Gesinnung zusammenbringt und sie wie eine Art Kaste von ihrer Umgebung abgrenzt (…) Es gibt keinerlei Erkennungszeichen; sie sind überflüssig. Mafiosi erkennen einander zum Teil an ihrem Jargon, zumeist jedoch instinktiv. Es gibt keine Statuten. Das Schweigegebot, die Omertà, und die Tradition genügen. Bosse werden nicht gewählt, sie erheben sich aus eigener Kraft und setzen sich durch. Es gibt keine Aufnahmeregeln.«
Um dieser »merkwürdigen Betrachtungsweise« Einhalt zu gebieten, sei leider ein gewisses Maß an Brutalität erforderlich. Mit ihrer einschüchternden Härte, schrieb Mori, hätten die Razzien von 1926 und 1927 an der Moral der Schurken gekratzt.
»Bestürzt und in Panik fielen sie wie die Fliegen. Der einzige Widerstand, den sie leisteten, war ein schwacher Fluchtversuch zu geheimen Verstecken. Wir haben sie allesamt erwischt.«
Hätte Mori sich die Mühe gemacht, die Gerichtsverfahren in Palermo zu verfolgen, hätte er eine Unmenge von Beweisen gefunden, die bestätigten, dass die Mafia weit mehr war als eine »seelisch-geistige Nähe« zwischen Männern mit »ungesunder Gesinnung«. Doch dergleichen war im Augenblick nicht von Belang. In den Abschlusszeilen seines Buches erklärte Mori, Sizilien marschiere nun, da der letzte Kampf mit dem organisierten Verbrechen gewonnen sei, »unaufhaltsam seinem glorreichen Schicksal entgegen«.
Der Eiserne Präfekt zeigte sich großmütig gegen jene, die er besiegt und hinter Gitter gebracht hatte, wobei er die Hoffnung äußerte, die Mafiosi möchten »als bessere, weisere Männer an den Busen ihrer Familien heimkehren und ihr Leben mit ehrlicher, harter Arbeit bestreiten, bis der Mantel des Vergebens und Vergessens über der Vergangenheit liegt«. Sofern die Mafia auf Sizilien noch nicht aus den Gedächtnissen gelöscht war, wie Mussolini es versprochen hatte, durfte dieser Tag zumindest mit Zuversicht erwartet werden. Der Faschismus hatte die Mafia besiegt. Was auch immer die Mafia war.
So überzeugt war das Regime von seinem Erfolg, dass im Herbst 1932 , zum zehnjährigen Jubiläum des Marsches auf Rom, Hunderte Mafiosi, die im Zuge der Operation Mori verurteilt worden waren, amnestiert und in die Freiheit entlassen wurden. Die sizilianische Mafia war noch lange nicht Geschichte.
Kampanien: Büffelsoldaten
Was blieb von der Camorra, nachdem der Cuocolo-Prozess sie demontiert hatte? Obwohl die Gerichtsurteile das Ende der Ehrenwerten Gesellschaft besiegelt hatten, gedieh in einigen neuralgischen Zentren Neapels das Bandenwesen weiter, zum Beispiel in den Großmarkthallen oder der Hafengegend in Bagnoli, wo Erpressung und Schmuggel an der Tagesordnung waren.
Was ebenfalls bestehen blieb, war der Mythos vom guten Camorrista. Im Elend groß geworden, sorge dieser in den Straßen auf derbe Art rasch für Gerechtigkeit, so die gängige Meinung. Vor allem beschützten diese »achtenswerten Männer« die Ehre der Frauen. Besonders eine Geschichte setzte sich im kollektiven Gedächtnis als archetypisch fest: die vom Camorrista, der
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