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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Salons war einfach zu groß. Und im neuen demokratischeren Zeitalter, da das politische Leben in Neapel ebenso sichtbar wie vergänglich war, besaß die Camorra keine politische Maske und war dadurch zu auffällig und isoliert, um einen ernsthaften Angriff der Ordnungskräfte zu überleben. Kurz gesagt: Die Bosse der Camorra trugen zwar strohgelbe Handschuhe, doch die Schnittnarben in ihren Gesichtern konnten sie nicht verbergen.
    In diesem Zusammenhang ist ein Vergleich mit den Ehrenwerten Gesellschaften Kalabriens und Siziliens lehrreich. Die
Picciotteria
entstammte ähnlich primitiven Verhältnissen wie die Camorra. Doch sie verschmolz schnell mit der Lokalpolitik, außerdem war Kalabrien – auch das ein wichtiger Punkt – für die öffentliche Meinung im übrigen Land so gut wie unsichtbar. Die sizilianische Mafia kreiste um eine Stadt, die Neapel in nichts nachstand, was ihre Bedeutung für das politische Leben der Nation betraf: Italien konnte nicht regiert werden, solange Palermo und Neapel nicht unter Kontrolle waren. Doch im Unterschied zur Camorra hatte die Mafia ihre eigenen Politiker, ihre Raffaele Palizzolos und Leonardo Avellones, ganz zu schweigen von den Premierministern und Reedern, mit denen sie befreundet war. Selbst die Killer der Mafia konnten sich darauf verlassen, von der Elite gedeckt zu werden, wenn sie mit dem Gesetz in Konflikt gerieten. Erricone und die übrigen Camorristi ließ man dagegen im Regen stehen.
    Der Legende nach versammelten sich am Abend des 25 . Mai 1915 , nicht lange nach der Urteilsverkündung im Cuocolo-Prozess, die wenigen noch verbliebenen Camorristi in einer Kellerbar des Sanità-Viertels und lösten die Ehrenwerte Gesellschaft endgültig auf.
     
    Was ist aus Gennaro Abbatemaggio geworden? Kaum hörten die Kameras der Wochenschauen auf zu surren, schlug der Mann, der die Ehrenwerte Gesellschaft vernichtet hatte, einen exzentrischen, geradezu selbstzerstörerischen Lebensweg ein. Die Geschichte von der inneren Wandlung, die er den Geschworenen in Viterbo hatte andrehen wollen, kehrte sich nun gegen ihn selbst.
    Abbatemaggio wurde dabei erwischt, wie er zwei Geschworene des Cuocolo-Prozesses bei einem merkwürdigen Handel übervorteilen wollte, und saß infolgedessen eine Zeitlang im Gefängnis. Später, während des Ersten Weltkriegs, verdiente er sich bei den
arditi
(»die Kühnen«), den italienischen Kampftruppen, die mit Granaten und Dolchen bewehrt Schützengräben stürmten, die Streifen eines Feldwebels. 1919 kehrte er als Sieger von der Front in die Arme seiner Frau zurück, die ihn angeblich vor einem Verbrecherleben bewahrt hatte –, nur um festzustellen, dass sie ausgerechnet mit einem der Gendarmen, die Abbatemaggio vor der Rache der Camorra hätten beschützen sollen, eine Affäre hatte. Seine Ehe ging in die Brüche, und im Januar 1920 versuchte er sich das Leben zu nehmen.
    Dann kam der Faschismus. Abbatemaggio begrüßte die faschistische Revolution in Florenz, wo er mit einer der militantesten und korruptesten Schwadronen Mussolinis mordend und plündernd durch die Straßen zog.
    Vielleicht wollte Gennaro Abbatemaggio bei all diesen Wechselfällen des Lebens noch einmal von vorn anfangen, sich neu erfinden. Wenn dem so war, scheiterten seine Bemühungen. Etwas nagte an seiner Seele. Am 9 . Mai 1927 befreite er sich endlich von der inneren Last und hinterlegte bei einem Rechtsanwalt in Rom eine Aussage. Sie begann folgendermaßen:
    »Ich erachte es als meine Pflicht, meinem Gewissen gehorchend folgende Erklärung abzugeben. Ich tue dies verspätet, doch noch ist Zeit, das schlimmste Fehlurteil in den Annalen der Justiz rückgängig zu machen.
    Hiermit erkläre ich, dass die Angeklagten, die im Cuocolo-Prozess für schuldig befunden wurden, in Wahrheit unschuldig sind.
«
    Der Mann, den Erricone als »das Grammophon« bezeichnet hatte, erklärte weiter, er habe in Viterbo eine vorsätzliche Lüge von einzigartiger Komplexität und Detailliertheit erzählt. Er habe nur deshalb all diese Beweismittel erfunden, weil die Carabinieri damit gedroht hätten, ihm andernfalls die Cuocolo-Morde anzuhängen. Sie hätten seine Freilassung erwirkt und ihm Geld und Hochzeitsgeschenke gebracht. Sie hätten wichtige Zeugen der Verteidigung und führende Journalisten bestochen und dafür insgesamt beachtliche 300 000  Lire ausgegeben. Vor allem hätten sie den Herausgeber des
Mattino
, Edoardo Scarfoglio, mit 40 000  Lire geschmiert, der als Gegenleistung für

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