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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Vaterland, das die Werte der konstitutionellen Monarchie, der Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit verkörpern sollte. Nachdem sie während der Revolten von 1848 / 49 vergeblich versucht hatten, diese Werte in eine politische Realität umzusetzen, büßten viele Patrioten wie Castromediano ihre Überzeugung mit dem Verlust der Freiheit, denn man überstellte sie dem Kerkerreich der Camorristi.
    Eine solche Behandlung politischer Häftlinge, die noch dazu von Stand waren, löste bald einen Skandal aus. Im Jahre 1850 begab sich ein exaltiertes Mitglied des britischen Parlaments, William Ewart Gladstone – der künftige
Grand Old Man
 –, der Gesundheit seiner Tochter zuliebe für längere Zeit nach Neapel. Die Notlage von Männern wie Castromediano bewog Gladstone, sich mit lokalpolitischen Themen zu befassen. Zu Beginn des Jahres 1851 gestattete die Obrigkeit in Neapel Gladstone unklugerweise, eines der Gefängnisse der Stadt zu besuchen. Er war entsetzt von dem »abscheulichen Schmutz«, den er dort sah. Ohne Unterschied und ohne jede Aufsicht hatte man politische Gefangene mit Verbrechern der übelsten Sorte zusammengesperrt. Die Gefangenen selbst sorgten für Ordnung.
    »Sie bilden eine autonome Gemeinschaft, in der hauptsächlich die
gamorristi
das Sagen haben, berüchtigt wegen ihrer unverfrorenen Verbrechen.«
    Gladstones unübliche Orthographie änderte nichts an der Wahrheit seiner Behauptungen und an der polemischen Kraft seiner Argumentation: Unmittelbar nach seiner Besichtigung der neapolitanischen Gefängnisse verfasste er zwei offene Briefe, in denen er die Herrschaft des Bourbonenkönigs als »Negation Gottes« verurteilte, die man »zur Regierungsform erhoben« habe. Die Camorristi wurden zum diplomatischen Knüppel, mit dem man auf die Bourbonen eindrosch. Eine Regierung, welche die Disziplin in ihren Gefängnissen gewalttätigen Schurken überlasse, sei es nicht wert, so Gladstone, bestehen zu bleiben. Dank seiner Worte wurden Italiens organisierte Verbrecherbanden das, was sie noch heute sind: Zündstoff für politische Kontroversen.
    Die internationale Sympathie, die den inhaftierten Patrioten zuströmte, sollte eine wichtige Rolle spielen in der fast wundersamen Ereignisfolge, die Italien endlich in eine
Patria
verwandelte – oder etwas in der Art. 1858 kam der Premierminister des norditalienischen Königreichs Piemont-Sardinien heimlich mit Frankreich überein, Österreich gewaltsam aus Norditalien zu vertreiben. Im darauffolgenden Jahr, nach dem entsetzlichen Blutvergießen in den Schlachten von Magenta und Solferino, schluckte Piemont-Sardinien die ehedem österreichische Lombardei. Der militärische Erfolg Piemonts löste weiter im Süden in den verschiedenen Herzogtümern der Stiefelmitte, auch auf päpstlichem Hoheitsgebiet, Aufstände aus. Ein Großteil des Nordens der Halbinsel war bereits Italien geworden. Europa hielt den Atem an und wartete auf den nächsten Schritt.
    Im Mai 1860 schließlich gelang Giuseppe Garibaldi ein Meisterstück idealistischer Gesinnung, als er mit kaum mehr als tausend patriotischen Freischärlern, den Rothemden, in Marsala einfiel, an der westlichsten Küste Siziliens. Nach ersten schnellen Siegen gewann die Revolution im Kielwasser von Garibaldis Zug der Tausend an Fahrt. Bald hatte er die sizilianische Hauptstadt Palermo erobert und wandte sich dann mit seiner wachsenden Armee ostwärts, um auf dem italienischen Festland einzufallen. Anfang September hielt er in Neapel Einzug. Italien sollte von nun an, zum ersten Mal in der Geschichte, ein geeintes Land sein.
    Nun konnten die Patrioten in den Gefängnissen des Königreichs beider Sizilien ihr langes Leiden in politische Glaubwürdigkeit umwandeln. Sie reisten nach Norden, in die piemontesische Hauptstadt Turin am Fuße der Alpen, und gesellten sich der ersten nationalen Elite des neuen Landes zu.
    Die Geschichte des
Risorgimento
, der Einigung Italiens, ist unzählige Male erzählt worden. Weitaus weniger bekannt ist die unheimliche Nebenhandlung: das Entstehen der Camorra. Die meisten der zahlreichen Stränge dieser Nebenhandlung haben ihren Ursprung in den Kerkern, wo die Patrioten den Camorristi begegneten. Die patriotischen Gefangenen sind also unsere wichtigsten Zeugen der Frühgeschichte der Camorra. Mehr noch: Einige von ihnen beteiligten sich persönlich an dem historischen Kampf, als Helden und als Schurken.
     
    Ein geeintes Italien war noch ein ferner Traum, als Herzog Sigismondo Castromediano

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