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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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im Jahre 1851 in Eisen gelegt wurde. Doch als sich seine traumatischen ersten Stunden im Gefängnis zu Tagen, Monaten und Jahren dehnten, fand er Quellen der Kraft, die seinen politischen Träumen Gestalt verliehen: auf der einen Seite die Kameradschaft seiner Leidensgenossen; auf der anderen die Entschlossenheit, den Feind zu durchschauen. Für den Herzog von Castromediano war es eine Frage von Leben und Tod, die Camorra begreifen zu lernen.
    Seine Erkenntnisse sind auch für uns von Interesse, weil sie noch heute Gültigkeit haben. Im Gefängnis konnte Castromediano die frühe Camorra gleichsam unter Laborbedingungen dabei beobachten, wie sie eine kriminelle Methodik perfektionierte, die darauf abzielte, dieselbe Nation, für deren Entstehung der Herzog so viel Leid auf sich nahm, zu untergraben und zu zerrütten.
    Castromediano begann sein Studium der Camorra auf höchst bodenständige Weise: Er folgte dem Geld. Und so verblüffte ihn an den »Steuern« der Camorra, wie er sie nannte, vor allem, dass sie auf ausnahmslos jeden Aspekt eines Häftlingslebens erhoben wurden, bis zum letzten Brotkrumen und zum elendesten Fetzen Kleidung.
    In den meisten Kerkern im Königreich befand sich an einer Wand ein kleiner Marienaltar. Die erste Steuer, die jeder Neuankömmling im Gefängnis zu entrichten hatte, wurde oft als Spende getarnt, für das »Öl in der Lampe der Madonna« – eine Lampe, die selten oder niemals brannte. Gefangene mussten sogar für das Fleckchen Boden, auf dem sie schliefen, den Mietzins entrichten. Im Gefängnisjargon hieß dieser Schlafplatz
pizzo
. Möglicherweise ist es kein Zufall, dass dasselbe Wort heute ein Bestechungs- oder Schutzgeld bezeichnet. Wer sich weigerte, den
pizzo
zu zahlen, der musste mit Strafen rechnen, deren Bandbreite von Beschimpfungen, Schlägen und Rasiermesserschnitten bis hin zum Tod reichte.
    Herzog Castromediano wurde Augenzeuge eines Vorfalls, der veranschaulichen soll, dass das Finanzierungssystem der Gefängnis-Camorra weitaus tiefgreifendere Folgen hatte als gemeiner Diebstahl – und weitaus unheimlicher wirkte als die üblichen Steuern: Bei einer Gelegenheit warf ein Camorrista, der eben erst »eine kräftige Suppe und ein tüchtiges Stück Braten« verspeist hatte, einem Mann eine Rübe ins Gesicht, dessen magere Ration Brot und Brühe er statt eines Bestechungsgeldes konfisziert hatte. Wüste Beschimpfungen begleiteten das Gemüse:
    »Da hast du eine Rübe! Die hält dich am Leben – für heute zumindest. Morgen hol dich der Teufel.«
    Die Camorra verwandelte die Bedürfnisse und Rechte ihrer Mithäftlinge (wie ihr Brot oder den
pizzo
) in Gefälligkeiten. Gefälligkeiten, die sie irgendwie bezahlen mussten. Das Camorrasystem basierte auf der Macht, diese Gefälligkeiten zu gewähren oder zu verweigern. Oder sie den Leuten gar ins Gesicht zu werfen. Das eigentlich Grausame an der Rüben-Episode ist somit die Tatsache, dass der Camorrista dem anderen eine Gefälligkeit gewährte, die er ebenso leicht hätte verweigern können.
    Geheimcode der Camorra. Diese geheime Liste, angeblich bei einem Gefängnis-Camorrista entdeckt, der sie in seinem Anus versteckt hatte, erklärt die Symbole, deren sich Camorristi bedienten, wenn sie Botschaften ins Gefängnis oder nach draußen schmuggelten. Aus einer Studie über die ehrenwerte Gesellschaft im Neapel des 19 . Jahrhunderts
    Herzog Castromediano hatte ein scharfes Auge für Begebenheiten, die verdeutlichten, welche Strukturen der Macht der Gefängnis-Camorra zugrunde lagen. Einmal hörte er, wie sich zwei Gefangene wegen unbeglichener Schulden stritten. Es handelte sich nur um wenige Groschen. Doch es dauerte nicht lange, und ein Camorrista mischte sich ein. »Wieso nehmt ihr euch das Recht heraus zu streiten, ohne die Erlaubnis der Camorra einzuholen?« Sprach’s und strich die Groschen selber ein.
    Jeder Gefangene, der ein grundlegendes Recht für sich in Anspruch nahm – wie das Streiten oder das Atmen –, beleidigte die Autorität der Camorra. Und jeder Gefangene, der sich, um Gerechtigkeit zu erlangen, an eine Autorität außerhalb des Gefängnisses wandte, war ein Verräter. Einem Häftling zum Beispiel waren die Hände in kochendes Wasser getaucht worden, weil er es gewagt hatte, sich wegen der Zustände im Gefängnis mit einem Brief an die Obrigkeit zu wenden.
    Vieles von dem, was Castromediano über die Camorra erfuhr, stammte aus der Zeit, die er im Gefängnis auf der Insel Procida verbracht hatte, die wie

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