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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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zahlreiche Mafiosi aus Trapani verhaftet hatte, hielten die Bosse, die noch auf freiem Fuß waren, eine Provinzversammlung ab, um über ihr weiteres taktisches Vorgehen zu beraten. Sämtliche Mitglieder der Organisation wurden brieflich ersucht, die Gewalt auf ein Minimum zu reduzieren, bis diese neue Welle der Unterdrückung über sie hinweggerollt und verebbt wäre.
    Die nächste Ermittlungsrunde des Inspektorats deckte einen Viehschmuggelring auf, der 300  Personen umfasste und sich über den gesamten Westen der Insel erstreckte; Mafiosi sprachen von der
Abigeataria
, dem »Bezirk der Viehdiebe«. Wie sie es schon immer getan hatten, stahlen sizilianische Mafiosi gemeinsam an einem bestimmten Ort Tiere, um diese dann auf einem weit entfernten Markt zum Verkauf anzubieten.
    Es folgte die südliche Provinz Agrigent. Die Ermittlungen des Inspektorats zu einem bewaffneten Überfall auf einen Omnibus brachten nach und nach ans Licht, dass die Mafia auch hier eine offizielle Struktur besaß. Die vom Inspektorat verhörten Mafiosi benutzten den Begriff »Familien« für die örtlichen Zellen. Die Familien pflegten ihre Aktivitäten häufig zu koordinieren. Die Männer, die den Omnibus überfallen hatten, gehörten beispielsweise drei unterschiedlichen Familien an; sie waren einander vor dem Überfall noch nie begegnet, agierten aber dennoch in völliger Eintracht. Noch beunruhigender war die Entdeckung des Inspektorats, dass die Bosse in Agrigent, während die Prozesse der Operation Mori 1932 sich dem Ende näherten, einen Rundbrief aus Palermo erhielten, der sie aufforderte, »die Reihen zu schließen und sich für Verbrechen im großen Maßstab bereitzuhalten«.
    Eines der enthüllendsten Zeugnisse in der Sammlung des Inspektorats stammte von Dr. Melchiorre Allegra, einem Allgemeinarzt, Röntgenarzt und Lungenspezialisten, der in Castelvetrano, einer Stadt in der Provinz Trapani, eine Klinik leitete. Allegra wurde im Sommer 1937 verhaftet und legte ein Geständnis ab, das 26 eng beschriebene Seiten füllte und von der ausgezeichneten Polizeiarbeit zeugte, die das Inspektorat geleistet hatte. Allegra hatte 1916 in Palermo das Initiationsritual durchlaufen, um Ehrenmännern, die sich dem Wehrdienst im Ersten Weltkrieg entziehen wollten, falsche Atteste ausstellen zu können. Die Mafiosi, die Dr. Allegra formell als »Brüder« vorgestellt wurden, waren Männer aus allen Bevölkerungsschichten – Kutscher, Metzger, Fischhändler, aber auch Parlamentsmitglieder und begüterte Aristokraten. Nach dem Krieg pflegten oft aus ganz Sizilien die Provinz- und Familienbosse anzureisen, um sich in der
Birreria Italia
zu treffen, einem piekfeinen Café mit Konditorei und Bar, mitten im Zentrum von Palermo gelegen, an der Kreuzung von Via Cavour und Via Maqueda. Einige Jahre lang, bis die faschistische Polizei Verdacht schöpfte, galt die
Birreria Italia
als Treffpunkt der Mafiawelt, ein eleganter Club für die Gangsterelite der Insel.
    Das Inspektorat wusste genau, dass die Männer, die Dr. Allegra »Brüder« nannte, sich in Wahrheit unentwegt bekriegten. Die Mafia neigte zu erbitterten Grabenkämpfen, die fast immer um die Frage kreisten, wer innerhalb der Organisation die Vorherrschaft erringen würde. Ein »mörderischer Kampf« dieser Art war es auch, der das Inspektorat schließlich mitten ins Herz der Mafia führte, in die Zitrusgärten der Conca d’Oro um Palermo.
    Als der Eiserne Präfekt im Oktober 1925 in Palermo eintraf, richtete er seine Aufmerksamkeit sofort auf die Piana dei Colli, den nördlichen Teil der Conca d’Oro, wo sich Inspektor Ermanno Sangiorgi in den 1870 er Jahren ein erstes Mal mit der Mafia angelegt hatte. Ein halbes Jahrhundert später war die Piana dei Colli Schauplatz einer besonders brutalen Schlacht zwischen zwei Mafiagruppen. Das Stadtzentrum von Palermo war mit Leichen gepflastert. Auch ranghohe Bosse waren darunter. Einige Mafiadynastien, die seit den 1860 er Jahren die Gegend beherrscht hatten, überlebten das Gemetzel nicht. Die übrigen wurden, sofern sie nicht nach Amerika, Tunesien oder London geflüchtet waren, von den Beamten des Eisernen Präfekten in Gewahrsam genommen. Dann verließ Mori Sizilien, und es kehrte wieder Ruhe ein.
    Das Inspektorat fand heraus, dass die Mafiosi aus der Piana dei Colli, die nach dem Ende der Operation Mori aus der Haft freigekommen oder aus dem Exil heimgekehrt waren, ihre Familien wegen der nach wie vor bestehenden Spannungen nicht neu organisieren

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