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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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konnten. Wieder kam es zu Vergeltungsmorden, getreu dem Prinzip »Wie du mir, so ich dir«. 1934 wurde ein Boss namens Rosario Napoli erschlagen, und seine Mörder versuchten, die Tat Napolis Neffen anzuhängen. Dieser Neffe war der erste Mafioso aus Palermo, der Informationen an das Inspektorat weitergab. Seine Aussage zog bald einen Schwall von Geständnissen anderer Gangster nach sich, von denen mehrere das Initiationsritual beschrieben, das sie bei der Aufnahme in die Organisation durchlaufen hatten. Wieder einmal hatte die Omertà Risse bekommen. Nachdem die Ermittler die einzelnen Aussagen geduldig miteinander verglichen und bestätigt hatten, erstellten sie einen Bericht über den Mafiakrieg in der Conca d’Oro und ließen somit Mussolinis anmaßende Behauptungen in der Himmelfahrtsrede in einem noch vernichtenderen Licht erscheinen.
    Die Protagonisten dieser neuen Version waren die Marasà-Brüder Francesco, Antonino und vor allem Ernesto, der
generalissimo
, wie das Inspektorat ihn nannte. Die Marasà-Brüder hatten ihre Machtbasis im westlichen Teil der Conca d’Oro, zwischen Monreale und Porta Nuova, also an der Landstraße, auf der Turi Miceli und sein Mafiatrupp im September 1866 nach Palermo marschiert waren, um den Aufstand anzuzetteln. Wie ehedem Turi Miceli waren auch die Marasà-Brüder vermögend. Das Inspektorat schätzte ihren Besitz sogar auf »mehrere Millionen Lire«. Der Wert einer Million Lire betrug damals ungefähr 52 000   US -Dollar, was 1938 in etwa der heutigen Kaufkraft von 1 , 7  Millionen Dollar entsprach: So darf man schlussfolgern, dass die Marasà-Brüder tatsächlich sehr reiche Verbrecher waren.
    Was die Ermittler des Inspektorats an den Marasà-Brüdern am meisten beunruhigte, war ihre Fähigkeit, in der Führungselite der Insel Freunde zu gewinnen und nach außen hin über jeden Verdacht erhaben zu sein. So konnten sie die Macht bemänteln, die sie mit Gewalt erworben hatten, und die blutigen Spuren beseitigen, die ihr Aufstieg hinterlassen hatte.
    »Während sie das politische System der vorfaschistischen Regierungen vergifteten, gingen sie auf den landwirtschaftlichen Gütern, in den Zitrushainen, in der Stadt, den Vorstadtbezirken und Dörfern ihren kriminellen Machenschaften nach. Sie konnten sich stets im Schatten der Wappen, Orden und Titel von Baronen und Fürsten verstecken. Dank der schändlichen Willfährigkeit jener Männer, die für Recht und Gesetz hätten sorgen sollen, entgingen sie stets ihrer gerechten Strafe. Doch hinter der Maske des Politikers, hinter dem ehrenvollen Titel, hinter der alles durchdringenden Scheinheiligkeit und dem eindrucksvollen Reichtum lauerten die grausamen, gierigen Instinkte gemeinster Verbrecher, deren kriegsähnliche Anfangsjahre in den Reihen der Unterwelt ein unauslöschliches Schandmal hinterlassen haben.«
    Wie erfolgreich die Marasà-Brüder ihr »unauslöschliches Schandmal« zu verhüllen wussten, zeigt die Tatsache, dass ihre Namen vor der Entdeckung des Polizeiberichts im Jahre 2007 kaum jemals in den Chroniken der Mafiageschichte aufgetaucht waren. Keine Fotos, keine Steckbriefe, kaum Gerüchte: eine kriminelle Macht, die umso beherrschender war, als sie ungesehen und unbenannt blieb.
    Ende der 1920 er Jahre, als die Bosse der Piana dei Colli damit beschäftigt waren, einander zu bekriegen, bis sie schließlich der Operation Mori zum Opfer fielen, blieben Ernesto Marasà und seine Brüder gänzlich unangefochten. Der
generalissimo
Ernesto begegnete dem faschistischen Feldzug sogar mit einem atemberaubenden, geradezu machiavellistischen Gleichmut: Er versorgte die Ermittler des Eisernen Präfekten mit belastenden Informationen über seine Mafiakonkurrenten. Mussolinis faschistisches Skalpell war also teilweise von der Hand eines Mafioso geführt worden.
    Ernesto Marasà setzte seinen Aufstieg fort, nachdem die Operation Mori zu Ende war. Während seine Feinde, schäumend vor Wut, weil sie verraten worden waren, im Gefängnis saßen, gründete Marasà mit seinen Anhängern eine Allianz, die aus den Mafiafamilien des gesamten Hinterlandes von Palermo bestand, einschließlich der Piana dei Colli, wo er weiterhin seinen Feinden schadete, indem er Informationen über sie an die Polizei weitergab. Er verfolgte schlicht den Plan, zum Boss der Bosse aufzusteigen. Das Inspektorat bespitzelte den
generalissimo
, während er seinen Feldzug von Zimmer zwei des Hotels Vittoria aus führte, unweit der Via Maqueda, Palermos

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