Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
»alle Ehre«.
»Unterdessen hat sich dieser einfallsreiche Kommandant der Carabinieri nicht einen Tag Ruhe gegönnt und setzt seine Jagd auf Gesetzesbrecher energisch fort.«
Kurz nachdem das Urteil gegen die Viehdiebe, die er verhaftet hatte, vor dem Berufungsgericht bestätigt worden war, ergatterte Massaru Peppi Delfino sogar eine Statistenrolle im Literaturkanon Italiens. Der in San Luca geborene Autor Corrado Alvaro, der für uns die Wallfahrt nach Polsi beschreibt, hat auch eine Kurzgeschichte über Delfinos gnadenlose Jagd auf einen kleinen Ziegendieb verfasst. Mit dem spärlichen Wortschatz der Bauern evozierte Alvaro den heiligen Schrecken, den Delfino während der 20 -jährigen Regierung der Faschisten auf dem Aspromonte verbreitete:
»Delfino hieß der Carabiniere, der sich, kaum war von einem Dieb die Rede, sogleich an dessen Fersen heftete, als hinge Geld daran (…) Mit seinem kurzen Umhang, der Flinte und den funkelnden Augen schnüffelte er überall herum: Er kannte wie kein anderer jedes Versteck, jede Gewohnheit der Banditen – die hohlen Baumstämme, die Höhlen, die nur ein Einheimischer finden konnte, die Nester hoch oben in den alten Bäumen.«
Werbewirksam war dies offenbar nicht. Gemessen am Eisernen Präfekten, dem unverbesserlichen Prahlhans, dessen Schlacht gegen die Mafia in Sizilien weltweit für begeisterte Schlagzeilen sorgte, fiel das Profil Massaru Peppis in der Tat ausgesprochen bescheiden aus. Doch mehr Ruhm als die eine oder andere Zeile in einer Lokalzeitung und den stillen Respekt der Bauern durfte einer, der im entlegenen Kalabrien dem Gesetz diente, eben nicht für sich beanspruchen, obschon die Begeisterung des Faschismus für ein Kräftemessen mit den Bossen gerade Hochkonjunktur hatte.
Legenden und persönliche Erinnerungen sind daher die einzigen Quellen, die wir anzapfen können, um uns das langjährige Wirken Massaru Peppis auf dem Aspromonte zu vergegenwärtigen. Doch gewähren uns diese Erinnerungen, auch wenn die Zeit sie mittlerweile reichlich ausgeschmückt hat, Zugang zu einer Wahrheit, die von Zeitungen und Prozessakten verschleiert wird. Selbst Peppis Sohn, der aktuelle Hüter der Delfino-Saga, beschreibt die Methoden seines Vaters als ziemlich gewalttätig. In diesem Teil der Welt eröffnete einem das Leben zwei Wege – »Entweder wurde man Carabiniere, oder man schloss sich der ’Ndrangheta an« –, und beide waren von Brutalität gesäumt.
Einmal, so geht das Gerücht, habe Massaru Peppi darauf gewartet, dass ein flüchtiger
picciotto
zu Weihnachten nach Hause käme, und ihn erst gestellt, als er sich über einen Teller Makkaroni mit Ziegenfleisch-Sugo hermachte. Verkleidet als Schäfer, stand er unter dem Fenster und spielte eine wehmütige Weise auf der Sackpfeife. Der
picciotto
war so gerührt, dass er zu essen aufhörte und sich aus dem Fenster beugte, um dem Spielmann ein Glas Wein zu reichen. Da sah er sich dem Lauf einer Pistole gegenüber. Er erkannte Massaru Peppi und sagte: »Lass mich wenigstens die Makkaroni aufessen.« Die Antwort war schroff. »Das wäre sinnlos, weil du in der Kaserne ohnehin alles wieder auskotzen musst.« Giuseppe Delfino, heißt es, habe Wort gehalten: Der Dieb musste eine Woche lang auf dem Rücken liegen, wurde getreten und gezwungen, Salzwasser zu trinken. Als endlich ein Arzt zu ihm durfte, sah dieser den grotesk aufgedunsenen Bauch des Mannes und meinte kopfschüttelnd: »Dafür braucht ihr keinen Allgemeinarzt, sondern einen Geburtshelfer.«
Wer diese Geschichte für übertrieben hält, der sei daran erinnert, dass auch das Dorf Cirella, in dem die Mörder von Maria Marvellis Ehemann gefoltert worden waren, zu Giuseppe Delfinos Revier gehörte.
Es gibt eine weitere Familienerinnerung an Giuseppe Delfino, der uns eine andere Seite seines Kampfes gegen die ’Ndrangheta vor Augen führt.
Im Herbst des Jahres 1940 war der Carabinieri-Kommandant nach wie vor im Dienst. Mit nur einem Gehilfen, heißt es, habe er sich vor der alljährlichen Wallfahrt zur Madonna von Polsi einen der Bosse beiseitegenommen und, um Zwischenfälle zu vermeiden, ein Abkommen mit ihm getroffen. Sofern die Bande in diesem Jahr in Polsi einen Mord beschlossen hatte, wurde er aus Rücksicht in einem angemessenen zeitlichen und räumlichen Abstand zur Wallfahrt begangen. Und wie Delfinos Sohn später bestätigte, hatte es »in all den Jahren, in denen mein Vater in Polsi das Sagen hatte, keine nennenswerten Vorfälle gegeben«. Der
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