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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Ermittlern, habe er auf den Beschwerdebrief von Barbaro/Pandico persönlich ein höfliches Antwortschreiben verfasst und dafür gesorgt, dass die Rechtsabteilung der RAI dem Gefangenen die großzügige Entschädigung von 800 000  Lire zukommen ließ – damals etwa 400  Euro.
    »Sehr geehrter Herr Domenico Barbaro,
    leider muss ich Ihnen mitteilen, dass ich nicht das Geringste über den Verbleib Ihres Päckchens weiß und es auch nie zu Gesicht bekommen habe. Was mir Sorge macht, ist die Tatsache, dass Sie hieraus Schlüsse ziehen, die weder mich selbst noch die Achtung, die ich stets einem jeden bezeigt habe, in einem günstigen Licht erscheinen lassen.«
    Tortora nahm verständlicherweise an, dass diese Briefe zu seiner Verteidigung beitragen würden. Doch wie sich herausstellte, wurden Passagen daraus zu einem zentralen Teil der Anklageschrift. Auf Pandicos Anregung kamen die Richter zu dem Schluss, dass es sich dabei um kodierte Botschaften handeln müsse: »Päckchen« stand in Wahrheit für »Drogenlieferung«; »Deckchen« für »Kokain«. Und die Begriffe »Ehre« und »Respekt« waren ein deutliches Signal, dass beide Parteien dem ethischen Kodex der kriminellen Unterwelt verpflichtet waren.
    Was dieser versponnenen Auslegung den Anstrich von Wahrheit verlieh, war die Flut von NCO -Abtrünnigen, einschließlich des »Tiers«, die Pandicos Geschichte bestätigten. Die NCO fürchtete die Reuigen und arrangierte im Vorfeld des Verfahrens brutale Angriffe gegen sie und ihre Angehörigen. Nur wenige Tage nachdem man ihn vor Gericht ins Kreuzverhör genommen hatte, kam Pandicos Mutter bei einer Explosion ums Leben. Schwierigerweise gab es auch zwei Zeugen, einen Künstler und seine Frau – keiner von beiden Gefängnisinsasse oder Camorrista –, die behaupteten, sie hätten Tortora tatsächlich dabei beobachtet, wie er in einem Mailänder Fernsehstudio einen kleinen Geldkoffer gegen ein Päckchen weißen Pulvers eintauschte.
    Am 17 . September 1985 neigte der riesige Prozess gegen Cutolos NCO sich dem Ende zu: Enzo Tortora wurde für schuldig befunden; er wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt und zu einem Bußgeld von 50  Millionen Lire (die 2011 etwa 60 000  Euro entsprächen). Wegen ähnlicher Vergehen verbüßte Tortoras Hauptkläger, Giovanni Pandico, eine dreijährige Haftstrafe. Der Schuldspruch vernichtete den Leumund des
Portobello
-Moderators:
    »Tortora hat bewiesen, dass er ein hochgefährlicher Mensch ist, der jahrelang seine dunklen Machenschaften und sein wahres Gesicht zu verhehlen wusste – das Gesicht eines zynischen Kaufmanns des Todes. Seine wahre Identität ist umso verderbter, als sie sich hinter einer Maske der Höflichkeit und Weltgewandtheit verbarg.«
    Das Urteil gegen Tortora schien das Misstrauen gegen die wahre Natur des öffentlichen Lebens zu bestätigen – ein Misstrauen, das tief in der Psyche des Landes verwurzelt war. Viele der Durchschnittsitaliener, die ihre Freitagabende vor der Sendung
Portobello
verbrachten, waren insgeheim der Überzeugung, dass sie eine Fassade betrachteten. Und hinter der leichten Unterhaltung, dem Sport und vor allem der Politik im Fernsehen verbarg sich eine schmutzige Realität der Günstlingswirtschaft, Bestechlichkeit, der politischen Mauschelei und – warum auch nicht? – des organisierten Verbrechens und Drogenhandels. Je ansprechender und überzeugender die Fassade, desto verschlagener und teuflischer die Wahrheit dahinter. Nach dieser bösartigen Rechnung stand Enzo Tortora als jemand da, den sein eigenes leutseliges Image verdammte. Das sentimentale Glühen, das von
Portobello
ausging, fiel zurück auf den Showmaster als das belastende grelle Licht einer Verhörlampe.
    Tortoras Leben hinter den Kulissen war in Wahrheit alles andere als gespenstisch. Für einen Fernsehmoderator war er außergewöhnlich ruhig und belesen. Er war ein nichtrauchender, nichttrinkender Vegetarier, dessen Lieblingsautor Stendhal war und der seine Freizeit gerne damit verbrachte, Livius und Seneca im Original zu lesen. Doch noch vor Prozessbeginn hatten Journalisten sich nach dem Doppelleben auf die Suche begeben, das er zweifellos führte – und waren fündig geworden.
    Uns Briten kommt die Art und Weise, wie die italienische Justiz Probleme anpackt, zuweilen ungeheuerlich vor. Das heißt: Auf jemanden, der den kontradiktorischen Strafverfahrenstypus gewöhnt ist, bei dem Richter die Möglichkeit haben, einen Prozess abzubrechen, sobald die Presse durch

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