Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
war. Wie so oft in Italien wurden Bruchstücke der gegen ihn erhobenen Vorwürfe an die Medien weitergegeben, während er noch verhört wurde, und ließen überall den Eindruck entstehen, er sei schuldig. Am 21 . August – lange vor einem Gerichtsverfahren – erschien die Hauptaussage gegen Tortora in der Wochenzeitschrift
Espresso
. Sein Ankläger war der inhaftierte Camorrista Giovanni Pandico.
Pandico war das seltene Beispiel eines Ganoven, der lesen und schreiben konnte; er verfügte sogar über rudimentäre juristische Kenntnisse, die ausreichten, um ihn in den Augen seiner Mithäftlinge zu einem wandelnden Gesetzbuch zu machen. Auch seine Erscheinung zeugte von intellektueller Würde: kühle, wächserne Züge, verdeckt durch ein kastenförmiges schwarzes Brillengestell. Doch Pandico war auch launisch und äußerst gewalttätig. Bereits in jungen Jahren hatten Psychiater ihn als paranoid eingestuft, als eine »aggressive Persönlichkeit, mit einer starken Neigung zum Größenwahn«. 1970 kam Pandico nach einer kurzen Haftstrafe wegen Diebstahls frei. Jemand musste die Schuld tragen für seine Scherereien mit dem Gesetz, und dieser Jemand musste bedeutend sein – wie der örtliche Bürgermeister. Wie sein paranoider Verstand es ihm eingab, polterte Pandico durch das Rathaus, eine Beretta 9 mm in der Hand, tötete zwei Personen und verwundete zwei weitere. Der Bürgermeister konnte sich nur retten, indem er sich hinter dem umgekippten Schreibtisch verschanzte.
Pandico trat eine lange Gefängnisstrafe an. Dort entdeckte Raffaele Cutolo, der »Professor«, sein literarisches und juristisches Talent. Er führte Pandico in die NCO ein und beschäftigte ihn als Sekretär, wodurch dieser eine Menge Insiderwissen erhielt. In einer typisch selbstverherrlichenden Art und Weise würde Pandico später behaupten, er sei kein Geringerer als Cutolos
consigliere
gewesen und somit zum amtierenden Boss der NCO aufgestiegen, nachdem der »Professor« auf die Gefängnisinsel Asinara verlegt worden war.
Pandico war das zweite Mitglied der NCO , das sich nach dem »Tier« als Kronzeuge zur Verfügung stellte. Er erzählte den Richtern, Enzo Tortora, der Showmaster der Sendung
Portobello
, sei ein Kokainhändler und Geldwäscher für die NCO . Der Fernsehstar sei in Wirklichkeit ein so erfolgreicher Krimineller, dass er 1980 in die Bruderschaft eingeführt worden sei. Doch bald danach sei Tortoras Verhältnis zur NCO in die Brüche gegangen, weil er eine große Kokainlieferung nicht bezahlt habe. Pandico behauptete, er sei von Cutolo persönlich mit der Aufgabe betraut worden, das Geld zurückzuholen. Er behauptete außerdem, dass Tortora seine Drogen en gros bei Domenico Barbaro bezogen habe –, demselben Domenico Barbaro, der im Dezember 1977 seine Häkeldeckchen an den Sender geschickt hatte.
Tortora wurde in Roms historischem Regina-Coeli-Gefängnis mit den Anschuldigungen konfrontiert. Er gab zu, tatsächlich indirekten Kontakt mit Barbaro gehabt zu haben. 1978 hatte Tortora das ganze Jahr über lange, entrüstete und wortreiche Briefe erhalten, in denen Barbaro wissen wollte, was aus seinen Deckchen geworden war. Tortora zeigte den Ermittlern die Briefe und verwies auf ihren absurden Inhalt: Der Gangster beschuldigte Tortora, die Deckchen gestohlen zu haben, und drohte ihm, ihn zu verklagen. Einer der Briefe an Tortora enthielt die folgende Passage:
»Mein aktueller Status als ein Häftling, der noch immer an die gesunden Prinzipien der Ehre gebunden ist, würde mich verpflichten, Ihnen keinen Schaden zuzufügen, falls Sie unverzüglich die Absicht hätten, und mir dafür den greifbaren Beweis zukommen ließen, für die Rückgabe des Päckchens zu sorgen. Im Einvernehmen mit meinen Rechtsberatern bin ich geneigt, die geplante Klage auszusetzen, sofern Sie Ihren guten Willen bekunden.«
Wie der affige Juristenjargon, die weitschweifige Logik, die Paranoia und kaum unterdrückte Gewalt dieser Worte verraten, war Barbaro, der kaum des Lesens und Schreibens mächtig war, nicht ihr Urheber. Sie gingen auf das Konto Giovanni Pandicos, der zur Zeit der Deckchenaffäre im selben Gefängnis saß wie Barbaro. Pandico hatte sich offenbar in den Kopf gesetzt, mit der ihm eigenen obsessiven Hartnäckigkeit, auf die Rückgabe der Deckchen zu drängen.
Tortora, als beliebter Fernsehmoderator, war stets um sein öffentliches Image bemüht, sogar wenn die fragliche Öffentlichkeit im Zuchthaus schmorte. Also, erklärte er seinen
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