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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Erfolge des Prozesses gegen die
Nuova Camorra Organizzata
waren gänzlich überschattet. Der
pentito
, dessen Bild sich im Gedächtnis der Öffentlichkeit einbrennen würde, war Giovanni Pandico, der vor Gericht Tortoras Beweise als »Farce« verunglimpft und melodramatisch verlangt hatte, sich einem Lügendetektortest unterziehen zu dürfen.
     
    Am Montag, dem 16 . Juli 1984 , kurz vor dem Mittagessen – die Tortora-Geschichte war noch lange nicht gelöst –, unterzog sich ein weiterer Überläufer aus der Welt des organisierten Verbrechens in einer Polizeizelle in Rom den Formalitäten seiner ersten Befragung.
    »Ich bin Tommaso Buscetta, Sohn des verstorbenen Benedetto und der verstorbenen Felicia Bauccio. Geboren am 13 . Juli 1928 in Palermo. Ich habe keinen Militärdienst absolviert. Verheiratet, Kinder. Landwirtschaftlicher Unternehmer. Vorbestraft.«
    Buscetta war einer der mächtigsten Bosse Siziliens gewesen, äußerst charismatisch, ein internationaler Drogenbaron mit Kontakten zu beiden Seiten des Atlantiks, was ihm den Spitznamen »Boss zweier Welten« eingebracht hatte. Jetzt war er ein körperliches Wrack. Seine dunklen Züge, die an die edle Gelassenheit eines aztekischen Prinzen erinnerten, waren bleich und verschwommen. Nachdem er 1980 sein Wort gebrochen hatte und aus Italien geflüchtet war, hatte er auf seiner 26 000  Hektar großen Farm in Brasilien Zuflucht genommen. Von dort aus hatte er ohnmächtig zusehen müssen, wie die Corleoneser seine Freunde abgeschlachtet und mehrere seiner Verwandten umgelegt hatten.
    Als die brasilianische Polizei ihn erwischte, unterzog sie ihn der Folter: Sie rissen ihm die Zehennägel aus, traktierten ihn mit Elektroschocks, bugsierten ihn dann in ein Flugzeug und flogen mit ihm über São Paolo, wo sie ihm drohten, ihn hinauszuwerfen. Er aber wiederholte nur immer wieder: »Mein Name ist Tommaso Buscetta.« Kurz vor seiner Auslieferung nach Italien hatte Buscetta einen Selbstmordversuch unternommen, indem er Strychnin schluckte. Nach der Landung in Rom musste man ihm aus dem Flugzeug helfen. Bald danach verlangte er nach Giovanni Falcone, der jetzt ihm gegenüber am Schreibtisch saß und jedem seiner Worte lauschte. Auf die Frage, ob er eine Erklärung zu machen habe, antwortete Buscetta:
    »Bevor ich irgendetwas sage, möchte ich darauf hinweisen, dass ich kein Spitzel bin. Was ich sage, ist nicht der Tatsache geschuldet, dass ich mir Gefälligkeiten vom Rechtssystem erhoffe.
    Ich bin auch kein Überläufer, die Enthüllungen, die ich machen möchte, sind nicht von der elenden Überlegung motiviert, was für mich dabei herausspringen wird.
    Ich war ein Mafioso, und ich habe Fehler begangen, für die ich bereit bin, vollständig zu bezahlen.
    Im Interesse der Gesellschaft, meiner Kinder und der Jugend im Allgemeinen will ich alles enthüllen, was ich über dieses Krebsgeschwür Mafia weiß, damit künftige Generationen ein menschenwürdigeres Leben führen können.«
    Die Geschichte der sizilianischen Mafia war im Begriff, in unbekannten Bahnen zu verlaufen. Unbekannt – und doch sehr vertraut.
    Wandelnde Leichen
    In seinem letzten Interview hatte General Carlo Alberto Dalla Chiesa über die »todbringende Kombination« gesprochen: Jemand war für die Mafia eine Gefahr und außerdem isoliert. Dasselbe Gefühl von Isolation wurde sehr deutlich von einem jungen Richter in Trapani geäußert, einer Stadt an der Westspitze Siziliens. 1982 fragte ihn ein Fernsehmoderator provokativ, ob er denn einen »Privatkrieg« gegen die Mafia führe. Der Richter erklärte ruhig, dass nur bestimmte Juristen sich mit Mafiaverbrechen befassten und etwas aufbauten, was er als »geschichtliche Erinnerung« daran bezeichnete. Aus diesem Grund wirke das, was diese wenigen im Interesse der Öffentlichkeit taten, am Ende wie ein privater Kreuzzug. »Alles trägt insgeheim dazu bei, den Kampf gegen die Mafia zu personalisieren.« Genauso sahen Mafiosi selbst den Kampf: als Konfrontation zwischen Ehrenmännern und ein paar Nervensägen aus Polizei und Justiz. Für Mafiosi sind die Grenzen zwischen Privatangelegenheiten und öffentlichem Interesse schlicht unsichtbar.
    Der junge Richter aus Trapani, der diese Aussage traf, war ein energischer, bebrillter Liebhaber von klassischer Musik namens Gian Giacomo Ciaccio Montalto. Eines Abends, nur wenige Monate nach dem Interview, waren sein weißer VW Golf und er selbst mit Einschusslöchern durchsiebt. Die Straße, in der er langsam

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