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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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sehe nicht die geringste Möglichkeit, wie jemals wieder vernünftige Zustände hier herrschen sollen. Offenbar ist die moralische Ordnung aus den Fugen geraten (…) Das Königreich ist voll von Mord, Raub und anderen Verbrechen.«
    Süditalien glitt allmählich in die Anarchie ab. Die Preise schossen in die Höhe, als neue Marktstrategien in Kraft gesetzt wurden. Der ökonomische Rückgang hatte zur Folge, dass sich die latenten Konflikte zwischen Bauern und Großgrundbesitzern verschärften. Die Reste zweier Armeen – jene Garibaldis und jene König Franz’  II . – durchstreiften das Umland. Viele
garibaldini
zogen nach Neapel, wodurch ein neuer Unruheherd entstand. Die meisten Kämpfer Garibaldis verdross die Tatsache, dass sie Süditalien offenbar nur erobert hatten, um es an eine konservative Regierung zu verlieren, die im fernen Turin geschickt taktierte. Trittbrettfahrer schlossen sich ihnen an, die hofften, durch das Tragen eines roten Hemds einen Arbeitsplatz zu ergattern oder wenigstens ein paar Groschen zu erbetteln. Die neue italienische Regierung versuchte, Arbeitsstellen im öffentlichen Bauwesen zu schaffen und damit zumindest einen Teil des Überangebots an Arbeitskräften abzuschöpfen. Doch als die Staatsanleihen an Wert verloren, konnte man die erforderlichen Gelder nicht mehr aufbringen.
    Angesichts dieses erschreckenden Durcheinanders gebührt Silvio Spaventa der größte Respekt für seinen beherzten Kampf gegen die Camorra. Zu den ersten Massenverhaftungen kam es am 16 . November 1860 . Unmengen von Waffen und Polizeiuniformen wurden eingezogen. Salvatore De Crescenzo, der »rehabilitierte« Camorraboss und
generalissimo
des Schmuggels auf See, kam wieder ins Gefängnis. Dort sollte er seinen Aufstieg an die Spitze der Camorra fortsetzen. Nahezu zwei Jahre später, am Morgen des 3 . Oktober 1862 , ließ De Crescenzo seinen Hauptrivalen in der Ehrenwerten Gesellschaft auf der Schwelle des Vicaria-Gefängnisses erstechen und wurde daraufhin der erste
capo dei capi
, der nicht aus dem Vicaria-Viertel stammte.
    Doch obwohl De Crescenzo im Gefängnis war, hielt die Camorra Spaventas Angriff stand. In der Nacht des 21 . November 1860 griffen Camorristi die Präfektur an, in der Hoffnung, ihre Bosse aus den Zellen zu befreien.
    Spaventa begann das neue Jahr mit einer Säuberungsaktion innerhalb der Polizei und feuerte viele der korrupten alten Gefängniswärter. Seine Strenge machte ihn bald zur Zielscheibe der frustrierten Neapolitaner. Er stammte zwar aus dem Süden, wirkte aber auf sie wie einer dieser überheblichen Politiker aus dem Norden, die man ihnen, so ihre Befürchtung, demnächst aufzwingen würde. Er sei »beim Volke weithin verhasst«, berichtete die
Times
. Im Januar 1861 fand eine Straßendemonstration gegen ihn statt. Viele von denen, die »Nieder mit Spaventa!« schrien, waren Camorristi in den Uniformen der Nationalgarde. Eine Petition mit mehreren tausend Unterschriften forderte seine Entlassung. Spaventa, der sich seiner eigenen Unbeliebtheit nicht bewusst war, reagierte mit weiteren Verhaftungen.
     
    Im April 1861 , in der Hitze des Gefechts zwischen dem neuen italienischen Staat und der neapolitanischen Camorra, erreichte Silvio Spaventa der Befehl aus Turin, er möge eine Untersuchung führen und herausfinden, wie die Camorra funktionierte. Dass sie ihren Ursprung in den Gefängnissen hatte, war mittlerweile bekannt, doch blieben noch immer viele Fragen offen. Wie war sie zum Geheimbund, zur Sekte, wann gegründet worden? Auf der Suche nach Antworten gingen Spaventas Beamte daran, in Neapels Archiven zu stöbern und eine Anzahl vertraulicher Quellen zu konsultieren.
    Aus der Recherche gingen zwei vorbildliche kurze Berichte hervor: das allererste Phantombild der Camorra. Spaventa, erpicht darauf, die Öffentlichkeit für seinen Kampf zu gewinnen, gab später viele der gesammelten Dokumente an Marc Monnier weiter. Monnier ergänzte sie mit eigenem Material, indem er möglichst viele Personen befragte, einschließlich Liborio Romano und etlicher Camorristi.
    Spaventa fand heraus, dass die Camorra in Neapel in mehrere Gruppierungen unterteilt war, eine für jedes der insgesamt zwölf Viertel der Stadt. Ihre Macht konzentrierte sich dennoch schwerpunktmäßig auf die vier Viertel der Unterstadt. Der
capo camorrista
einer jeden Gruppe wurde von seinesgleichen gewählt. Dem
capo
zur Seite gestellt war ein
contarulo
oder Buchhalter, dem die äußerst heikle Aufgabe zukam,

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