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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Beamtenelite in die Freimaurerlogen zu integrieren, eine Möglichkeit, diesen zu schmeicheln und sie gleichzeitig in Schach zu halten. Doch Freimaurerbünde wurden bald zu Zentren des Widerstands gegen die französische Herrschaft und 1813 verboten. Wieder auf dem Thron, hegten die Bourbonen größtes Misstrauen gegen Geheimgesellschaften – aus gutem Grund. Eine patriotisch gesinnte Freimaurersekte mit Namen
Carbonari
(»Kohlenbrenner«) unterwanderte die Armee und entfachte 1820 in Neapel eine erfolglose Revolution. Als diese gescheitert war, endeten viele
carbonari
im Gefängnis, wo sie mit den Camorristi in Kontakt kamen. Interessanterweise war Liborio Romano einmal ein »Kohlenbrenner« gewesen.
    Obschon wir also niemals genau wissen werden, wann und wie die Gefängnis-Camorra die patriotischen Geheimsekten des
Risorgimento
nachzuäffen begann, so scheint immerhin erwiesen, dass sie es tat. Kurzum, das italienische Volk und sein chronisches Problem mit dem organisierten Verbrechen waren von Anfang an eng miteinander verwoben. Im Jahr 1860 war der Moment, als die Camorra freimaurerische Rituale annahm, noch so aktuell, dass die Wahrheit aus Begriffen hervorschimmerte, die die Camorristi nach wie vor benutzten. So wurden die Ortsgruppen der Camorra zuweilen als »Logen« bezeichnet, und die Mitglieder der Gesellschaft als
Patria
: in anderen Worten, die Camorra betrachtete sich selbst als eine »Nation« von Eliteverbrechern.
    Noch in den 1850 er Jahren hatte diese kriminelle
Patria
ihre eigene Nationalhymne, deren Worte wiedergaben, was die Gesellschaft von der italienischen Einigung hielt. Sie lautete folgendermaßen:
    »Die Kohlenbrenner sind Kanaillen;
    Die Bourbonen Hampelmänner.
    Wir sind Camorristi!
    Und wir verkohlen sie beide.«
    Camorristi paktierten mit den Bourbonen gegen die Patrioten, mit den Patrioten gegen die Bourbonen. Damit spielten sie eine Schlüsselrolle in dem Bemühen, Neapel dem neuen Italien anzugliedern. Doch im Zuge all dieser dunklen Machenschaften hielten sich die Camorristi an die Methoden, die Herzog Sigismondo Castromediano im Gefängnis beobachtet hatte. Sie verfolgten nur ein Ziel: erpressen, schmuggeln, aus »Flöhen Gold pressen«. Die Politik – selbst die anregende Politik des
Risorgimento
und der Heldenmut Garibaldis – war nur ein Mittel, das diesem schäbigen Zweck diente.
     
    Während seine Beamten die Vergangenheit der Camorra ergründeten, setzte der unbestechliche Silvio Spaventa seine Bemühungen fort, ihre gegenwärtige Macht zu beschneiden. Eine seiner Maßnahmen ärgerte die Camorristi besonders: Er untersagte den Nationalgardisten, außerhalb der Dienstzeit ihre Uniformen zu tragen. Für die Ganoven in der Nationalgarde bedeutete dieses Verbot, dass sie ihre Uniformen nicht mehr als Deckmantel für ihre Erpressungen benutzen konnten.
    Die Rache folgte auf den Fuß. Am 26 . April 1861 fiel eine zornige Meute, darunter etliche Camorristi, im Ministerium ein. Diesmal schrien sie nicht »Nieder mit Spaventa!«, sondern »Tod dem Spaventa!«. Sie zwängten sich an den Wachen vorbei in sein Büro, doch seine getreuen Sekretäre hielten sie so lange in Schach, bis er über eine geheime Treppe geflüchtet war. Die Meute verfolgte ihn dann bis zu seinem Haus und brach bei ihm ein. Schaulustige auf der Straße blickten nach oben und sahen einen Mann auf den Balkon treten, der mit einem langen Messer herumfuchtelte und schrie: »Das hier ist die Klinge, mit der ich ihn umgebracht habe, und das hier ist sein Blut!«
    In Wahrheit war Spaventa ein zweites Mal entkommen. Doch der Überfall erschütterte ihn so sehr, dass er seine tiefsitzende Abneigung gegen allzu viel Öffentlichkeit bezwang. Tags darauf begab er sich, Mut vortäuschend, zum Mittagessen ins Caffè d’Europa. Am selben Abend wohnte er im Teatro San Carlo in einer Loge im zweiten Rang der Premiere einer Neuinszenierung von Bellinis
Norma
bei – in diesem Theater zeigten sich die Herrscher Neapels traditionellerweise der maßgeblichen Öffentlichkeit. Spaventa verließ das Gebäude sogar über die Haupttreppe, unter den Blicken einer verblüfften Menge. Er hatte auf hartem Wege gelernt, dass Neapel nicht ohne ein Quäntchen »Spanischheit«, ein wenig Großspurigkeit, regiert werden konnte.
    Drei Monate später wurde klar, dass er noch einige andere Lektionen gelernt hatte. Im Juli 1861 , in einer belebten Straße nur einen Katzensprung von Spaventas Haus entfernt, fing sich ein ranghoher Polizeibeamter

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