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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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das Geld der Gesellschaft zu sammeln und neu zu verteilen.
    Wer Mitglied der Camorra werden wollte, musste zunächst unter Beweis stellen, dass er die Kriterien der Gesellschaft erfüllte: Verboten waren zum Beispiel passive Homosexuelle und Männer, deren Frauen oder Schwestern sich prostituierten. (Obwohl diese Klausel im Regelwerk der Unterwelt hauptsächlich Beachtung fand, indem sie gebrochen wurde.) Die Kandidaten wurden von erfahrenen Mitgliedern auf die Probe gestellt und beobachtet. Möglicherweise mussten sie einen Mord begehen oder einem Feind der Camorra mit dem Rasiermesser eine entstellende Schnittwunde beibringen. Diese Schnittwunden dienten als Bestrafung, sowohl für Außenstehende als auch für Mitglieder, welche gegen die Regeln verstoßen hatten. Sie wurden zum grausig sichtbaren Merkmal für die Macht der Camorra in den Elendsvierteln von Neapel.
    Wurde ein Kandidat für würdig befunden, musste er über gekreuzten Messern einen Eid ablegen und einen Dolchkampf gegen einen Camorrista bestehen, den das Los bestimmte. Bewies der Neue Mut, wurde er zum
picciotto di sgarro
(was soviel bedeutet wie »Raufbold« oder »Bursche, der Streit sucht«).
    Messerkämpfe waren für die Gesellschaft so wichtig, dass ihre Mitglieder viel Zeit darauf verwendeten, ihre Fähigkeiten zu trainieren; einige Camorristi waren sogar darauf spezialisiert, andere in dieser Kunst zu unterweisen. Ein tödlicher Zweikampf war relativ selten. Zumeist hatte der Kampf eine rituelle Funktion, weshalb die Duellanten angehalten waren, nur nach den Armen zu zielen. Ein Dolchkampf pflegte auch den Aufstieg des Kriminellen zum nächsthöheren Rang zu besiegeln, dem eigentlichen Camorrista. Wer Camorrista wurde, erlangte Zugang zur Entscheidungsebene innerhalb der Gesellschaft und hatte Anspruch auf einen größeren Anteil an den Einnahmen.
    Marc Monnier ergänzte diesen Organisationsentwurf um eine wichtige Information. Er erklärte, dass die einzelnen Ränge von Natur aus flexibel waren.
    »Die Mitglieder der Sekte können nicht lesen und haben deshalb keine schriftlich festgelegten Gesetze. Sie geben ihre Gebräuche und Regeln mündlich weiter, modifizieren sie je nach Zeit und Ort und nach dem Willen der Bosse sowie nach den Entscheidungen, die bei ihren Versammlungen getroffen werden.«
    Die Hierarchien innerhalb der Camorra basierten aber trotzdem auf einem einzigen Prinzip, der Ausbeutung. Die Camorristi beuteten ihre Untergebenen, die
picciotti di sgarro
, gnadenlos aus. Monnier beschreibt das Leben eines solchen
picciotto
als eine Mischung aus »Plackerei, Erniedrigung und Gefahr«, die er in der Hoffnung ertrage, eines Tages zum Camorrista befördert zu werden. Der Ehrgeiz eines
picciotto di sgarro
wurde nicht zuletzt an dessen Bereitschaft gemessen, die Schuld für ein Verbrechen auf sich zu nehmen, das ein ranghöheres Mitglied der Gesellschaft begangen hatte. Eine zehnjährige Gefängnisstrafe war ein Preis, den der
picciotto
gern bezahlte für die Chance, zum Camorrista aufzusteigen, mit eigener Entscheidungsgewalt.
    Und die Ursprünge der Sekte? Die Beamten durchforschten weiter das Archiv, fanden aber kein Indiz. Spaventa war verwirrt.
    »Die Polizei Neapels war häufig gegen Camorristi vorgegangen. Dennoch ist es so seltsam wie wahr, dass sie nicht ein einziges brauchbares Dokument hinterlassen hat, das auf die Ursprünge dieser sozialen Pest verweisen könnte.«
    Spaventa wusste nicht, dass die Bourbonenbehörden 1857 aus unerfindlichen Gründen das Polizeiarchiv niedergebrannt hatten, das ihm, und auch uns, noch weitaus mehr Informationen hätte liefern können über die Entstehung der »sozialen Pest«. Die Lücken in den historischen Aufzeichnungen ließen Raum für Spekulationen. Und diese Spekulationen konzentrierten sich bei Spaventa und seinen Beamten auf Spanien.
    Monnier und Spaventa bastelten sich gemeinsam eine Theorie zusammen, derzufolge die Camorra irgendwann im 16 . oder 17 . Jahrhundert nach Neapel eingeschleppt worden war, als das Königreich Neapel, das auch Sizilien umfasste, zur spanischen Krone gehörte, regiert von Vizekönigen, die in Madrid gekrönt wurden. Seitdem ist diese Theorie im Umlauf. Die Beweise, die Monnier und Spaventa fanden, um ihre Theorie zu stützen, waren eher spärlich und beschränkten sich auf vier Punkte, die zudem kaum einer genaueren Betrachtung standhalten.
    Erstens: Camorra ist ein spanisches Wort und bedeutet »Streit« oder »Kampf« – was zweifellos zutrifft.

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