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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Doch die Ursprünge dieses spanischen Wortes sind italienisch, so dass wir wieder am Ausgangspunkt stehen: in Neapel.
    Zweitens: Miguel de Cervantes, der Autor des
Don Quixote
, veröffentlichte im Jahre 1613 eine Kurzgeschichte mit dem Titel »Rinconete und Cortadillo«, die in Sevilla spielt und von einer kriminellen Bruderschaft handelt, die der Camorra sehr ähnlich ist. Problematisch ist freilich die Tatsache, dass Cervantes’ Geschichte eine Fiktion ist, und selbst wenn sie auf realen Verhältnissen basierte, so wäre dies kaum ein Beweis für irgendeine Verbindung zur heutigen Camorra.
    Drittens: Zu Beginn des 15 . Jahrhunderts trat in Spanien eine geheime Verbrechersekte namens Garduña in Erscheinung. Neuere Forschungen haben allerdings ergeben, dass auch die Garduña eine Fiktion ist, ein intellektuelles Schnippchen. Vor dem Jahr 1845 , in dem sie wie aus dem Nichts in einem sehr erfolgreichen Groschenroman über die Schrecken der Inquisition auftaucht, gibt es keinerlei Hinweise auf die angeblich mittelalterliche Sekte. Der Roman wurde 1847 ins Italienische übertragen. Sein Autor scheint die Idee von Cervantes’ »Rinconete und Cortadillo« übernommen zu haben.
    Und viertens: Dass die spanische Obrigkeit sprichwörtlich verdorben gewesen sei, war das schwächste Argument von allen. Für unseren Geschmack mögen die spanischen Herrscher in Italien tatsächlich allzu überheblich, protzig und verschlagen aufgetreten sein. Spanien wurde auch wirklich zum Inbegriff für eine Regierung, die ihren Untertanen nur hochmütige Verachtung entgegenbrachte.
Spagnolismo
(»Spanischheit«) wurde in Italien zu einem politischen Schimpfwort, das ein verschwenderisches Machtgehabe evozierte, gepaart mit mörderischen Machenschaften hinter den Kulissen. Doch Spanien verlor 1707 die Macht über Neapel. Vor Anbruch des 19 . Jahrhunderts – weit über hundert Jahre später – gibt es von der Camorra keine Spur. Der spanische Einfluss hätte schon äußerst hinterhältig sein müssen, um die Camorra hervorzubringen.
    Die Geschichte vom spanischen Ursprung der Camorra ist blanker Unsinn. Aller Wahrscheinlichkeit nach entstammt sie dem Geschichtswissen der Zuchthäusler und wurde von den Camorristi selbst in die Welt gesetzt. So wie die Mär von den spanischen Rittern Osso, Mastrosso und Carcagnosso der ’Ndrangheta zur Erklärung der eigenen Wurzeln dient, ist auch die Geschichte von der Garduña als ein krimineller Gründungsmythos zu verstehen, der vermutlich um die Mitte des 19 . Jahrhunderts aufkam, exakt zur gleichen Zeit, als die Camorra sich allmählich auch außerhalb der Gefängnisse etablierte.
    Wenn die Geschichte von den spanischen Wurzeln der Camorra eigentlich ein Mythos ist, wie kommt es dann, dass sich intelligente Menschen wie Silvio Spaventa, Marc Monnier und viele andere nach ihnen davon täuschen ließen? Möglicherweise hatte Spaventa schlicht seine beachtliche intellektuelle Deckung heruntergenommen, und so konnte dieser Quatsch sich einschleichen, ohne von ihm zerpflückt zu werden. Allerdings gibt es noch eine andere Theorie: Das Gerede von Spanien kam den italienischen Patrioten als Ablenkungsmanöver sehr zupass, da sie bei den wahren Ursprüngen der Camorra eine größere Rolle spielten, als ihnen lieb war.
    Als Zeitzeuge besaß der Schweizer Hotelier Marc Monnier den Vorteil, seine Beobachtungen aus der Perspektive des Fremden zu machen, obwohl er mit vielen Hauptakteuren auf Tuchfühlung war. Dennoch gibt es Momente, in denen er dem Geschehen zu nah kommt, als dass es ihn gänzlich unberührt ließe. Monnier war Spaventas Sprachrohr, und als solches hielt er pflichtgetreu fest, was er aus den offiziellen Berichten über die spanischen Anfänge der Camorra erfahren hatte. Dankenswerterweise spielte er aber auch auf eine weitaus überzeugendere und verstörendere Theorie an. Als erahne er die Wahrheit, dürfe sich aber nicht erlauben, sie zu äußern, vergleicht Monnier einige Camorrarituale mit einer »Phantasmagorie nach Freimaurerart«, ohne das Argument weiter auszuführen. Dabei ist es weit mehr als ein schlichter Vergleich: Regeln und Rituale der Ehrenwerten Gesellschaft stammten mit ziemlicher Sicherheit nicht von der sagenhaften Garduña, sondern waren denen der Freimaurer und ähnlicher Geheimbünde nachempfunden.
    Freimaurerverbindungen waren zu Beginn des 19 . Jahrhunderts ein fester Bestandteil des politischen Lebens. Als die Franzosen in Neapel regierten, versuchten sie ihre

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