Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
exportiert hatten – höchstwahrscheinlich die Profite der Mafia. Doch die wahre Einflusssphäre der Vettern lag
außerhalb
des kriminellen Geheimbunds. In dieser Hinsicht gab Buscettas Analyse der Salvos Aufschluss über die subtilen Beziehungen zwischen der Mafia und Siziliens Wirtschaft und Politik.
»Die Rolle der Salvos in der Cosa Nostra ist bescheiden. Ihre politische Bedeutung jedoch ist immens. Ich weiß, dass sie mit äußerst bekannten Parlamentariern in direktem Kontakt stehen. Einige davon stammen aus Palermo, doch ihre Namen gebe ich nicht preis.«
»Ihre Namen gebe ich nicht preis« – damit behauptete Buscetta, dass die Salvo-Vettern das Bindeglied zwischen Cosa Nostra und Politik waren. Doch
welche
Politiker gemeint waren, wollte er nicht sagen. Er hatte Falcone schon zu Beginn ihrer Gespräche gewarnt, dass Italien möglicherweise noch nicht bereit sei für derartige Enthüllungen, die widersprüchlicher, schwieriger zu beweisen und noch weitaus gefährlicher gewesen wären. Über Ignazio Salvo hinaus würde der Mammutprozess sich dem explosiven Thema der »unantastbaren« Freunde der Mafia innerhalb der Regierungsinstitutionen nicht nähern. Und doch war die Botschaft in Ignazio Salvos Gegenwart im Maxi-Prozess klar: Es würden weitere Enthüllungen und politische Skandale folgen.
Kurz vor neun Uhr abends am 7 . Oktober 1986 kam es zu einer kurzen, abstoßend grausamen Unterbrechung der Waffenruhe der Mafia, die den Mammutprozess begleitet hatte. Claudio Domino war ein elfjähriger Junge aus San Lorenzo in der Piana dei Colli, dem Landstrich im Norden Palermos, auf dem im Zuge des Baubooms der Mafia inmitten von Zitrusgärten und Kuhställen aufs Geratewohl Betonblocks entstanden waren. Claudio war unterwegs, um für das Abendessen der Familie Brot zu holen, als ihn ein in Leder gekleideter Motorradfahrer auf einer dröhnenden Kawasaki überholte. Während Claudio die Maschine bestaunte, zog der Mann eine Pistole und schoss ihm aus nur knapp einem Meter Entfernung in die Stirn.
Im ganzen Land wetteiferten Trauer und Wut mit den Spekulationen in den Medien. Hatte Claudios Tod etwas mit der Tatsache zu tun, dass sein Vater den Auftrag erhalten hatte, den Gerichtsbunker zu säubern? Hatte der Junge etwas gesehen, das er nicht hätte sehen sollen? Tausende kamen zu seinem Begräbnis. Die Zeitungen berichteten über den zornigen Ausruf von Claudios Bruder: »Und die wollen Ehrenmänner sein!«
Am Tag der Beerdigung bat aus dem Käfig Nummer 15 des Gerichtsbunkers Giovanni Bontate um die Erlaubnis, eine vorbereitete Stellungnahme verlesen zu dürfen. Seine Worte genau abwägend, wandte sich der Mafioso, der seinen Bruder an die
corleonesi
verraten hatte, an das Gericht:
»Wir möchten der Familie Domino unser Beileid aussprechen. Wir bestreiten, dass solch eine barbarische Tat auch nur das Geringste mit uns zu tun haben könnte. Wir lehnen die Angriffe und willkürlichen Anschuldigungen ab, die die Presse gegen die Angeklagten richtet. Wir sind tief bewegt. Auch wir haben Kinder. Wir bitten um eine Schweigeminute.«
Die Heuchelei dieser moralischen Pose wird nicht geringer durch die Tatsache, dass wir mittlerweile wissen, was mit Claudio wirklich passiert ist. Eine Bande Drogendealer war von der Cosa Nostra mit der Verteilung in der Gegend von San Lorenzo betraut worden. Sie töteten den Jungen, weil er angeblich Informationen an die Polizei weitergegeben hatte. Auf Befehl der Kommission verschwand daraufhin Claudios Killer. Unbestätigten Gerüchten zufolge war Claudios Vater dann in den Kofferraum eines Autos gepackt und zu einer abgelegenen Garage gebracht worden; dort hatte man ihm gezeigt, was mit dem Mörder seines Sohnes passiert war, und ihn gewarnt, keinen Aufstand mehr zu machen.
Giovanni Bontates Erklärung war ein Versuch, die Mafia so hinzustellen, wie ihre Verteidiger sie im Zuge der Geschichte oft beschrieben hatten: als eine Ordnungsmacht, eine informelle Polizeitruppe, fest verwurzelt in der Gemeinde. In anderen Worten, die Figur des Mafiabosses Turi Passalacqua aus dem Film
Im Namen des Gesetzes
gab wieder einmal ihre Rolle zum Besten. Doch diesmal ging die Propaganda nach hinten los. Bontate benutzte in seiner Stellungnahme ein außerordentlich bedeutsames Wort: »wir«, also »wir, die Cosa Nostra«. In dem Bemühen, seine Organisation von Claudio Dominos Ermordung zu distanzieren, hatte Giovanni Bontate implizit genau das zugegeben, was die Staatsanwaltschaft zu
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