Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
beweisen versuchte, nämlich dass die sizilianische Mafia existierte. Dieser katastrophale Fehler kam Bontate teuer zu stehen, als der Prozess vorüber war. Nachdem er für schuldig befunden worden war und auf das Berufungsverfahren wartete, wurde ihm aufgrund eines Bandscheibenvorfalls (unter anderem) Hausarrest bewilligt. Eines Morgens, noch im Morgenmantel, öffnete er die Tür, um zwei Freunde zu begrüßen. Er bot ihnen Kaffee an, den sie dankend annahmen. Als das Plauderstündchen vorüber war und die Freunde sich zum Gehen wandten, erschossen sie Giovanni Bontate und seine Frau.
Nachdem die hochrangigen Bosse ihre Aussagen gemacht hatten, lief der Prozess noch über ein Jahr. Unmengen von Bankdaten und anderen Beweismitteln mussten offengelegt werden. Auch die Verwandten von Mafiaopfern erhielten die Gelegenheit, sich zu äußern. Es war schwer zu sagen, wer den qualvolleren Anblick bot: jene, die unter Tränen wissen wollten, wo ihre Angehörigen begraben waren; oder jene, die wie versteinert den vertrauten Spruch abließen: »Ich habe nichts gesehen. Ich weiß von nichts.«
Im April 1987 zog die Staatsanwaltschaft Bilanz, ein Prozess, der über zwei Wochen in Anspruch nahm. Als einer der beiden Staatsanwälte nach acht langen Tagen des Referierens endlich eine Pause einlegte, kam er nicht mehr auf die Beine und wurde zum Verhandlungsschluss von den Carabinieri aus dem Gerichtssaal getragen.
Dann übernahmen die fast 200 Verteidiger das Feld, um nacheinander ihre Schlussplädoyers zu halten, was mehrere Monate in Anspruch nahm.
Endlich, am 11 . November 1987 , zogen die Richter und Geschworenen sich zur Beratung zurück. Doch kurz bevor sie zu einem Urteil kamen, meldete sich Michele der »Papst« Greco zu Wort. Seine kurze Rede wurde die berühmteste im ganzen Mammutprozess.
»Ich wünsche Ihnen Frieden, Hohes Gericht. Ihnen allen. Frieden, Ruhe, Gelassenheit und ein gutes Gewissen (…) für die Pflicht, die vor Ihnen liegt. Gelassenheit ist das Fundament für alle, die über andere zu Gericht sitzen. Dies sind nicht meine Worte: Es sind die Worte Unseres Herrn, Sein Rat an Moses. Möge Gelassenheit walten, wann immer ein Richtspruch gefällt wird. Sie ist das Fundament. Mehr noch, Hohes Gericht, möge dieser Friede Sie durch Ihr weiteres Leben begleiten.«
Eine Drohung natürlich. Doch verbrämt mit der widerwärtigen Sprache, die durchweg die Verteidigung des »Papstes« charakterisiert hatte: Er war ein Familienmensch, ein Obstbauer, ein frommer Christ, der nichts wusste von einer Mafia oder von Drogen.
Seinem unerschütterlichen Wesen gemäß erwiderte Richter Giordano nur: »Das wünschen wir uns auch.«
Fünf Wochen später, etwa 22 Monate nach Beginn des Verfahrens, erfolgte das Urteil. Lebenslange Haft für 19 Männer, darunter Totò Riina, Michele der »Papst« Greco und drei Bosse, die, was dem Rest der Welt unbekannt war, durch die Mafia bereits auf schnellere Weise gerichtet worden waren. Pippo Calò wurde zu 23 Jahren verurteilt. Der Steuereintreiber Ignazio Salvo erhielt sechs Jahre, weil er ein eingeführtes Mitglied der Cosa Nostra war – ein »Feind der Gesellschaft«, um es mit seinen Worten auszudrücken.
Ebenso überraschend wie diese harten Urteile waren die Freisprüche: ganze 114 . Sogar Totò Riinas Corleoneser Mentor Luciano Liggio wurde freigesprochen, weil nach Meinung des Gerichts nicht zweifelsfrei erwiesen war, dass er seit Mitte der 1970 er Jahre vom Gefängnis aus Befehle erteilt hatte. Die 2665 Jahre Haft, die den Schuldigen insgesamt auferlegt wurden, waren 2002 weniger als die Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussplädoyer gefordert hatte. Selbst jene, die dem Mammutprozess gegenüber skeptisch gewesen waren, mussten jetzt zugeben, dass offenkundig
nicht
pauschal und im Schnellverfahren geurteilt worden war.
Das Ergebnis gab Anlass zum Feiern und galt weithin als ein Sieg der Gerechtigkeit. Man hatte den Kronzeugen geglaubt. Buscettas Schilderung der Cosa Nostra und ihrer Struktur hatte sich bestätigt. Die sizilianische Mafia existierte.
Zumindest im Augenblick. Falcone und Borsellino hatten stets betont, dass der Mammutprozess nur ein Anfang war. Ihm würde unweigerlich ein Berufungsverfahren folgen. Und danach der Oberste Gerichtshof. Die Cosa Nostra hatte noch eine Menge Zeit, um zum Gegenschlag auszuholen und dann erneut im Nebel der Geschichte zu verschwinden.
Ein Schritt vor, drei zurück
Zu Beginn seiner ersten Gespräche mit Giovanni
Weitere Kostenlose Bücher