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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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zu widersprechen, aus Angst, als Mafioso gebrandmarkt zu werden. Das zweite Beispiel sei kein anderer als Paolo Borsellino, der soeben zum Oberstaatsanwalt in Marsala ernannt worden sei, obwohl er längst nicht so viele Dienstjahre aufzuweisen habe wie andere Bewerber. »Wer im Gerichtswesen Siziliens vorankommen will, der sollte sich an einem Mafiaprozess beteiligen«, lautete Sciascias höhnische Schlussfolgerung im Artikel.
    Borsellino war, anders gesagt, ein schäbiger Karrierist. Sciascias Rezension löste, wie vorherzusehen war, einen gewaltigen Streit aus.
    Die Tatsachen sprachen freilich in eklatanter Weise gegen Sciascias konträres Gemecker. Wer als Richter möglichst schnell in der Kiste landen will, der sollte sich an einem Mafiaprozess beteiligen. Diese Aussage wäre zutreffender gewesen. Seit 1979 waren vier Richter an vorderster Front von der Cosa Nostra, ein fünfter von der ’Ndrangheta ermordet worden. Andere hatten Glück gehabt und Mordanschläge überlebt. Doch bald würde es wieder Tote geben. Was Borsellino dazu trieb, nach Marsala im äußersten Westen Siziliens in der Provinz Trapani zu ziehen, war sicherlich kein Ehrgeiz. Er wusste, dass die Provinz Trapani eine wichtige Machtbasis der Corleoneser war. 1985 wurde dort die größte Heroinraffinerie ausgehoben, die jemals in Italien entdeckt worden war. Borsellinos Beförderung basierte – ungewöhnlich für Italien – statt auf der Anzahl der Dienstjahre – auf seinen Verdiensten, auf seinen »speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet des organisierten Verbrechens«, wie die offizielle Erklärung für seine Beförderung lautete. Und doch hatte Sciascia in seiner Rezension diesen Satz zitiert, als sei er ganz selbstverständlich ein Grund, um die Rechtmäßigkeit von Borsellinos Versetzung in Zweifel zu ziehen.
    Sciascia würde seine Stellungnahme später bedauern, die seine Karriere als Stimme des intellektuellen Nonkonformismus mit einem tragischen Misston beschließt. Er hat es verdient, dass die Nachwelt sich seiner wegen der eindringlichen Seiten erinnert, die er in den 1960 er Jahren über die Mafia schrieb, als die meisten anderen Schriftsteller sich weigerten, das Thema anzugehen. Doch das Bedauern kam zu spät. Sciascia hatte alten sizilianischen Vorbehalten gegen den Staat eine Stimme verliehen; und der Titel seiner Rezension – »Professionisti dell’antimafia« (»Die Karrieristen der Antimafia«) – wurde zum Wahlspruch der Feinde Falcones und Borsellinos.
    Der nächste Schlag gegen das Engagement der Richter Falcone und Borsellino war vielleicht der vernichtendste von allen. Der Sciascia-Wahlspruch war in den römischen Korridoren des
Consiglio Superiore della Magistratura
zu hören, des Obersten Gerichtsrates, der die Unabhängigkeit der Justiz von der Regierung überwachte und dessen gewählte Mitglieder Beförderungen prüften und innerhalb des Rechtssystems für Disziplin sorgten. Ende 1987 ging Antonio Caponnetto, Falcones und Borsellinos Vorgesetzter und der Mann, der die Geburt des Antimafia-Pools beaufsichtigt hatte, in den Ruhestand. Es gab noch viel zu tun. Zwei weitere Mammutprozesse waren in Vorbereitung. Seit dem Frühling des Jahres 1987 war Falcone allwöchentlich nach Marseille geflogen, wo ein wichtiger neuer Kronzeuge, Antonino Calderone, ein umfassendes Geständnis ablegte. Falcone wäre der geeignete Mann gewesen, um Caponnetto zu ersetzen und somit die Kontinuität in der Arbeit der Antimafia-Richter zu gewährleisten.
    Der Oberste Gerichtsrat jedoch sah dies anders. Am 19 . Januar 1988 stimmte er mit einer kleinen Mehrheit dagegen, Caponnettos Posten an Falcone zu übertragen. Stattdessen wurde er an Antonino Meli vergeben, einen Richter, der 20  Jahre älter war als Falcone, dafür aber weit weniger Erfahrung mit Mafiafällen besaß und den Methoden des Antimafia-Pools eher skeptisch gegenüberstand. In undurchsichtigem Amtsjargon erklärten die Ratsmitglieder ihre Entscheidung mit dem Hinweis auf Falcones »Geltungsdrang« und den »Personenkult«, der ihn umgebe. Als Falcone sich kurze Zeit später um den Posten des Hochkommissars zur Mafiabekämpfung bewarb, drosch der Oberste Gerichtsrat erneut auf ihn ein. Das Amt war nach dem Mord an General Carlo Alberto Dalla Chiesa von der Politik in einem Anfall von Panik geschaffen worden und erforderte die Kompetenzen eines leitenden Super-Ermittlers. Falcone wusste, dass der Inhaber dieses Amtes auch als Blitzableiter für die öffentliche Kritik an der

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