Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
den
Paten
anzuschauen, zum Beispiel
Moses
gesehen, dann hätte er nicht solche Verleumdungen von sich gegeben.«
Das unspektakulärste Kreuzverhör im Mammutprozess war zugleich eines der aufschlussreichsten und spannendsten. Am 20 . Juni 1986 betrat im eleganten hellblauen Anzug, eine Aktenmappe in der Hand, Ignazio Salvo den Gerichtsbunker. Dreißig Jahre lang hatte Ignazio, ehe er vom Antimafia-Team blinzelnd ans Licht der Öffentlichkeit und der Gerechtigkeit gezerrt worden war, gemeinsam mit seinem Vetter Nino in weiten Teilen Siziliens die Steuern eingetrieben. Den immensen Gewinn aus ihrem lizenzierten Diebstahl investierten sie in landwirtschaftliche Unternehmen, den Tourismus, die Immobilienbranche und in den politischen Hebel innerhalb der DC , der für die gesamte Operation wesentlich war. Nino Salvo, der unmittelbar vor der Verhandlung an Krebs verstorben war, war ätzender gewesen als sein Vetter. Als er in den Gerichtspalast bestellt wurde, hatte er knurrend ein Zugeständnis (und eine verschleierte Drohung) geäußert, dass das Atrium aus Marmor und Glas davon widerhallte: »Die Salvos haben alle politischen Parteien bezahlt. Geld für sie alle: keine Ausnahmen.«
Im Unterschied zu den übrigen Angeklagten im Mammutprozess war Ignazio Salvo nicht im Ucciardone untergebracht, sondern unter Hausarrest gestellt worden. Jetzt, mit der Lesebrille auf der unteren Hälfte seiner langen Nase, richtete er sich mit entspannter Präzision an den Vorsitzenden Richter. Er machte sich daran, Punkt für Punkt auf Buscettas Behauptungen einzugehen, und erläuterte lang und breit die Unterlagen mit den dokumentierten Beweismitteln aus seiner Aktenmappe. »Sie wirken gelangweilt«, sagte er nach einer Weile zum Richter, durch ein dünnes, herablassendes Lächeln. Es war, als hoffte der reichste und mächtigste Mann Siziliens, durch die schiere Kraft ätzender Langeweile langsam wieder in die Unsichtbarkeit abzutauchen.
Die Salvo-Vettern standen besonders Stefano Bontate nah, dem »Prinz von Villagrazia«, und anderen Mitgliedern der Drogenhändlerelite der Cosa Nostra. Diese Freundschaft kam die Vettern teuer zu stehen, als 1975 Nino Salvos Schwiegervater von den
corleonesi
entführt wurde und nicht mehr zurückkam. Die Salvos waren verständlicherweise entsetzt, als 1981 Totò Riina damit anfing, Bontate und seine Verbündeten abzuschlachten. Aus Sicherheitsgründen begab sich Nino auf eine lange Kreuzfahrt mit seiner Yacht. Unterdessen blieb Ignazio in Palermo und versuchte verzweifelt, Tommaso Buscetta zu kontaktieren, um herauszufinden, was eigentlich los war, und den Widerstand gegen Totò Riinas Vormarsch zu organisieren. Es sollte der Anfang vom Ende werden für die Macht der Salvos.
Ignazio Salvos Antwort auf die Erklärung der Staatsanwaltschaft war, abgesehen von dem Versuch, alle Anwesenden im Saal bis zur Erstarrung zu langweilen, ein Argument teuflischer Finesse:
»Lange Jahre hatte sich der Staat aus dem Kampf gegen die Mafia praktisch herausgehalten. Stillschweigende Duldung und Mittäterschaft waren so weit verbreitet, dass die Bürger der Macht der Mafiafamilien wehrlos ausgeliefert waren. Wir konnten nur überleben, indem wir Drohungen vermieden, vor allem gegen Familienmitglieder, besonders wenn unsere geschäftliche Tätigkeit uns zwangsläufig mit diesen Organisationen in Berührung brachte. Ich bin nie ein Mafioso gewesen. Doch ich bin einer der vielen Unternehmer, die sich, um zu überleben, mit diesen
Feinden der Gesellschaft
auf einen Handel einlassen mussten.«
Was konnten wir tun?, so das Argument Ignazio Salvos. Wir dachten, wir hätten den Ganoven genügend Zugeständnisse gemacht, um in Ruhe gelassen zu werden. Doch wir lagen falsch und wurden zu Geiseln. Wir sind keine Täter, sondern Opfer.
Diese Rechtfertigung war teils Geständnis, teils Ausrede – und durch und durch verlogen. Generationen sizilianischer Landeigentümer und Unternehmer hatten
exakt
dasselbe Argument vorgebracht, sobald ihre Mafiakontakte entdeckt worden waren.
Buscetta und andere »Reuige« wussten, dass Ignazio Salvo ein Ehrenmann aus der Salemi-Familie der Cosa Nostra war – sogar deren stellvertretender Boss. Bereits 1971 hatte der damalige Oberst der Carabinieri Carlo Alberto Dalla Chiesa einen Bericht eingereicht, der besagte, dass Ignazio ein Mafioso und sein Vater Luigi der örtliche Boss gewesen sei. Falcones und Borsellinos Überprüfung der Bankdaten ergab, dass die Salvo-Vettern illegal Kapital
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