Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
schreibe, sind von den ursprünglich sieben Wohnblocks vier zwar zum Abriss freigegeben, stehen aber noch – und sind teilweise sogar bewohnt.
In den 1990 er und 2000 er Jahren war das Drogengeschäft in Le Vele in den Händen des Di Lauro-Clans. Sein Gründungsboss war Paolo Di Lauro, auch als »Ciruzzo, der Millionär« bekannt. Er stammte aus Secondigliano, einer Gegend bei Scampia am nördlichen Stadtrand von Neapel. Ursprünglich säumten hier große, elegante Villen aus dem 19 . Jahrhundert eine Allee, doch in den 1970 er und 1980 er Jahren wurde die Gegend großräumig erschlossen. Der Millionär leitete eine Organisation, die ganz auf Drogengeschäfte spezialisiert war. Zu seinen engsten Gefolgsleuten gehörten zwei seiner Söhne sowie sein Schwager. Ihnen untergeordnet waren die sogenannten »Delegierten«, die für Einkauf und Verschnitt der Drogen verantwortlich waren. Alle Tätigkeiten unterhalb der höchsten Entscheidungsebene des Clans wurden über eine Art »Franchise«-System abgehandelt, damit das riskante und schmutzige Alltagsgeschäft in sicherer Entfernung blieb. Zwanzig »Zonenbosse« erhielten die Erlaubnis, innerhalb verschiedener Bezirke auf dem Territorium des Millionärs Verkäufe zu tätigen und die festangestellten Schieber, Beobachtungsposten und Schläger anzuweisen, die die untersten Ränge der Organisation einnahmen. Ein Schieber verdiente 2000 Euro pro Monat, ein Killer nur 2500 Euro pro Treffer. Etwa 200 Menschen galten als offiziell anerkannte Mitglieder des Clans, aber die tatsächliche Anzahl der Beschäftigten war weitaus größer. Auf dem Höhepunkt der Macht des Millionärs wurden die Drogeneinnahmen der Organisation auf eine Milliarde Euro jährlich geschätzt.
2002 musste der Millionär notgedrungen untertauchen, und so ging die Kontrolle der Alltagsgeschäfte auf seine Söhne über, die sich bemühten, die Ambitionen der »Delegierten« im Zaum zu halten. Das Ergebnis war, im Winter 2004 / 2005 , der brutalste Camorrakrieg der jüngsten Zeit, bekannt als die »Fehde von Scampia«.
Von den Camorraorganisationen der neueren Generation gehörte der Di Lauro-Clan zu denen, die über eine besonders straffe Hierarchie verfügten. In den 1970 er Jahren lernten Camorristi die Vorteile einer Organisation nach Art der Freimaurer von Mitgliedern der Cosa Nostra und der ’Ndrangheta, die erpicht darauf waren, Geschäftspartner in Kampanien zu finden. Infolge des Zerfalls der
Nuova Camorra Organizzata
und der
Nuova Famiglia
in den 1980 er Jahren waren in Kampanien Praktiken wie das Initiationsritual nicht mehr gefragt. Seitdem haben Camorraclans ihre eigenen Strukturen erfunden, je nach Bedarf. Doch ungeachtet des schwindenden sizilianischen und kalabrischen Einflusses in Kampanien sind die zwei fundamentalen Prinzipien der Camorraorganisation dieselben, die bei den strukturierteren Familien der Cosa Nostra oder den
’ndrine
und
locali
der ’Ndrangheta Anwendung finden. Einerseits braucht ein Camorraclan eine straffe Organisation, besonders im Kern und besonders für die Kriegsführung und Revierverteidigung. Andererseits muss er auch lose genug sein, um den Bossen den Freiraum zu lassen, sich weiträumig zu vernetzen und jede kriminelle Gelegenheit zu nutzen, die sich ihnen zu Hause oder im Ausland bietet. Innerhalb der Grenzen, die durch diese beiden Prinzipien gesetzt werden, sind viele Strukturen denkbar. Der Begriff Camorra umfasst mittlerweile alles, angefangen bei den Drogenbanden, die in den heruntergekommenen Vierteln vieler westlicher Großstädte zu finden sind, bis hin zu großen Syndikaten mit fest geschmiedeten Verbindungen zur Politik und der legalen Wirtschaft.
Wie beim Di Lauro-Clan helfen Blutsbande oft, die Kernmitglieder jeder Camorraorganisation zusammenzuschweißen. Camorrabosse kennen meist von klein auf die Gewalt und das »kriminelle
Savoir-faire
« (die Terminologie eines italienischen Experten). Ehen zwischen Camorraclans benachbarter Reviere helfen, die Macht zu festigen und dieses
Savoir-faire
an die nächste Generation weiterzugeben. Ein Beispiel ist der Mazzarella-Clan um drei Neffen von Michele Zaza, dem Zigarettenschmuggler und Mitglied der Cosa Nostra, der in den sechziger und siebziger Jahren dazu beitrug, den Tabakschmuggel in die »Fiat-Werke des Südens« zu verwandeln. 1996 heiratete der Teenagersohn von Vincenzo Mazzarella die Tochter von Lovigino »Eisauge« Giuliano, Boss von Forcella, und das Ansehen seiner Familie stieg
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