Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Acerra gebaut, im nördlichen Kampanien, nur wenige hundert Meter von einem großen Kinderkrankenhaus entfernt. Das zweite sollte ursprünglich nur 20 Kilometer vom ersten entfernt entstehen, in einer Gegend, die für ihren Büffelmozzarella bekannt war. Doch noch ehe die erste Müllverbrennungsanlage errichtet worden war, gab es in der Gegend mehr legale und illegale Mülldeponien, als sie verkraften konnte, und in Nutztieren und Feldfrüchten wurde giftiges Dioxin nachgewiesen. Die Müllverbrennungsanlage, die tatsächlich gebaut wurde, erwies sich bald als ineffizient und verbreitete Gase in einem Radius von zehn Kilometern.
Die sieben Ökoballen-Fabriken funktionierten noch schlechter: Ein parlamentarischer Bericht stellte fest, dass die Ökoballen, die sie erzeugten, einfach nur große, plastikverpackte Pressmüllwürfel seien, viel zu feucht und mit zu vielen Giftstoffen durchsetzt, um als Brennmaterial zu taugen, selbst wenn die Kraftwerke funktioniert hätten. So blieb nichts anderes übrig als sie zu stapeln. In ganz Kampanien wuchsen graue und weiße Türme aus Ökoballen in den Himmel. Der regionale Müllsonderkommissar teilte dem Parlament 2004 mit, dass Monat für Monat 40 000 Quadratmeter Land für die Lagerung von Ökoballen verbraucht würden. Zu Beginn des 21 . Jahrhunderts fraß sich Kampaniens zerrüttetes Müllbeseitigungssystem in regelmäßigen Abständen komplett fest. Am Tiefpunkt, von 2007 bis 2008 , sammelten sich mehrere hunderttausend Tonnen Müll aus heimischen Haushalten und Geschäften auf den Straßen. Die Behörden reagierten, indem sie Müllhalden wieder in Betrieb nahmen, die längst als voll galten. Die Anwohner, berechtigtermaßen besorgt um die Auswirkungen auf ihre Lebensqualität, veranstalteten zornige Protestkundgebungen. Über die Fernsehkanäle gingen die Bilder von den Müllbergen und den Protesten in alle Welt und ramponierten den Ruf Neapels, Kampaniens und Italiens. Erst in den letzten Jahren scheinen die Behörden die Situation allmählich im Griff zu haben, obwohl viele Ökoballen-Stapel noch immer die Landschaft verschandeln.
Der
monnezza
-Skandal (nach dem neapolitanischen Begriff für »Müll«) wird noch vor Gericht verhandelt: Eine Reihe Politiker, Unternehmer und Verwalter sind wegen Betrugs und Fahrlässigkeit angeklagt. Abgesehen von einem juristisch relevanten kriminellen Tatbestand ist dies eine Geschichte von politischem Chaos, verantwortungslosen Geschäftspraktiken (auch in Norditalien), schlechter Planung, Misswirtschaft und unzureichender Kontrolle. Die Probleme begannen an der Spitze: Dem Kommissariat, das mit der Kontrolle des Systems befasst war, werden nicht nur Vetternwirtschaft und die Verschwendung von Steuergeldern vorgeworfen, sondern auch das Unvermögen, für einen funktionierenden Verwertungskreislauf zu sorgen.
Die
monnezza
-Affäre hat große Ähnlichkeit mit dem Wiederaufbauchaos nach dem Erdbeben von 1980 . Zum einen schufen beide Missstände Gelegenheiten für das organisierte Verbrechen. Im Unterschied zur Cosa Nostra und der ’Ndrangheta beteiligte sich die Camorra erst spät am Bauboom. Während sizilianische und kalabrische Gangster im Bauboom der fünfziger und sechziger Jahre ein Vermögen anhäuften, verdienten Camorristi erst nach dem Erdbeben von 1980 ernsthaft Geld mit Beton. Doch was den Müll anbelangte, waren die Camorraclans Pioniere und Protagonisten. »Ökomafia« ist ein Begriff, den italienische Umweltschützer geprägt haben, um auf den Schaden hinzuweisen, den die Unterwelt den natürlichen Ressourcen Italiens zufügt – von ungenehmigten Bauten bis hin zum Schachern mit architektonischen Schätzen. Der Müllsektor ist das lukrativste Geschäft der Ökomafia und eines der größten kriminellen Wachstumsfelder in den letzten zwei Jahrzehnten.
Wie im Bereich des Bauwesens unterwanderte die Camorra die Müllentsorgung auf mehreren Wegen, angefangen mit den 18 Konsortien, die eingerichtet wurden, um das Recycling in verschiedenen Landesteilen zu organisieren. Viele der Angestellten dieser Konsortien stammten aus den Reihen Arbeitsloser, die sich zu Interessenverbänden formiert hatten. Einige dieser Interessenverbände, die noch aus den 1970 er Jahren stammen, haben Verbindungen zur Camorra: Ihre Anführer nahmen erwiesenermaßen Schmiergelder von Mitgliedern gegen die Aussicht auf einen Job; nicht wenige der Mitglieder sind vorbestraft. 2004 sagte der regionale Müllsonderkommissar vor einem
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