Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Grundes ein schmutzfarbner Fluß
Unter weinbewachsenen Ulmen.«
Diese besondere Landschaft war und ist die Kulisse für einige maßgebliche Entwicklungen in der Geschichte der kampanischen Mafia in den vergangenen 150 Jahren. Im 19 . Jahrhundert, als ein Großteil der Gegend noch sumpfige Wildnis war, Mazzoni genannt, lag die Erzeugung von Büffelmozzarella in der Hand gewalttätiger Unternehmer. Im trockengelegten Bauernland südlich und südöstlich der Sümpfe erpressten Banden Schutzgeld von den Bauern, beuteten die Tagelöhner aus, belegten die Obst-, Gemüse- und Fleischgroßmärkte mit Steuern und kontrollierten die Transportwege in die Stadt.
Wäre Pasolini noch am Leben und würde heute durch die Terra di Lavoro reisen, er sähe eine Landschaft, die der Bau von Fabriken in den Sechzigern, der industrielle Niedergang und der Bauboom der Achtziger nach dem Erdbeben radikal verändert hat. Doch vielleicht fiele Pasolini, mehr noch als diese sichtbaren Veränderungen, ein neuer Geruch auf. In vielen Teilen des Landes nördlich von Neapel stinkt es nach Müll – der wichtigsten neuen Einnahmequelle der Camorra von heute.
Camorra: Ein italienisches Tschernobyl
Als die Zweite Republik geboren wurde, befanden sich Neapel und die Region Kampanien gerade mitten in einer Müllkrise. Noch war keines der Recycling-Programme für Hausmüll und Industrieabfälle umgesetzt worden. Die Müllhalden quollen über. Allmählich zeigten sich in der Bevölkerung unweit der Müllhalden besorgniserregende Anzeichen für gesundheitliche Beschwerden.
Anfang 1994 verhängte die Regierung den Ausnahmezustand und beauftragte einen Sonderkommissar mit der Organisation der täglichen Müllbeseitigung, während die Regionalregierung nach einer dauerhaften Lösung suchte. Vergeblich, wie sich bald herausstellte: die übliche Geschichte von Stillstand und Konfusion innerhalb der Politik. Zu diesem Zeitpunkt, 1996 , erhielt das Sonderkommissariat den Auftrag, Kampaniens Weg aus dem Ausnahmezustand zu planen, und die Befugnis, die normalen Beschränkungen und Regierungskontrollen zu übergehen, um den Plan in die Tat umzusetzen.
Das Ergebnis schien geschmeidig. Der städtische Müll sollte sortiert und phasenweise beseitigt werden: Zunächst sollte alles Wiederverwertbare an den Sammelstellen abgeschöpft werden. Der Rest würde zentral sowohl nach biologisch abbaubaren als auch nach gefährlichen Substanzen durchsiebt werden. In der nächsten Phase würde der Restmüll dann zerstampft und in sogenannte »Ökoballen« gepresst werden, die als Brennstoff genutzt werden konnten. Bei der Verbrennung besagter Ökoballen sollte Strom erzeugt werden. Sieben neue Ökoballen-Fabriken sollten entstehen, dazu zwei neue Verbrennungsanlagen. Sobald sie fertiggestellt wären und liefen, so die Behauptung, gäbe es in Kampanien einen perfekten Kreislauf der umweltfreundlichen Müllbeseitigung und -wiederverwertung. Niemand hörte auf die Müllentsorgungsexperten, die den Plan als unrealistisch bezeichneten, weil er ihrer Ansicht nach auf Grundsätzen basierte, die schon andernorts gescheitert waren.
Die Lösung für Kampaniens Müllnotstand artete schnell in eine Umweltkatastrophe aus. Der Müllentsorgungskreislauf war in jeder Phase funktionsgestört.
Achtzehn Konsortien wurden in den 1990 er Jahren gegründet, die in unterschiedlichen Landesteilen die Müllbeseitigung und -wiederverwertung organisieren sollten. Doch aus diversen Gründen funktionierten sie nicht richtig: Ungetrennter Müll geriet in den Verwertungskreislauf.
Zu diesem Zeitpunkt begannen die ernsthaftesten Probleme. Ein Konsortium aus vier Unternehmen, bekannt als FIBE , ergatterte den Auftrag, die Ökoballen-Fabriken und die Verbrennungsanlagen zu errichten. Die Hauptgründe, warum FIBE die Ausschreibung gewann, waren das kostengünstige Angebot, das sie vorlegten, und die schnelle Arbeit, die sie versprachen: Es handelte sich schließlich um einen Notstand. FIBE erhielt einen Auftrag von der Regionalregierung Kampaniens, der überzogene Strafklauseln enthielt.
FIBE wollte die Verbrennungsanlagen bis Ende 2000 errichten und in Betrieb nehmen. Doch bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Konsortium noch nicht einmal die Baugenehmigung erhalten. Ende 2007 war erst eines von zwei Kraftwerken fertiggestellt. Die Pläne für das zweite wurden 2012 storniert.
FIBE erhielt auch weitgehend freie Hand in der Entscheidung, wo die Fabriken entstehen sollten. Das erste Kraftwerk wurde in
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