Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
parlamentarischen Untersuchungsausschuss: »Es ist ein Wunder, wenn 200 der 2316 Menschen [angestellt von den Recycling-Konsortien] tatsächlich irgendetwas arbeiten.« Ende 2007 , so die Schätzung, waren bereits über 40 der Lastwagen, die angeschafft worden waren, um recycelten Müll zu transportieren, gestohlen.
Die Camorra sicherte sich auch Aufträge an Subunternehmer und Sub-Subunternehmer, die die Ökoballen durch die Gegend fuhren. Seit den Tagen des Baubooms nach dem Erdbeben besaß die Camorra gleichsam das Monopol auf Erdarbeiten. Es gibt Hinweise darauf, dass die Camorra von den Geschäftsabschlüssen profitierte, die im Eilverfahren durchgedrückt wurden, um Land zu erwerben, auf dem die Ökoballen gelagert werden konnten.
Mancherorts, vornehmlich um Chiaiano herum, rissen junge Camorristi die Führung der Proteste gegen die neuerliche Öffnung alter Müllhalden an sich. Die Demonstrationen arteten unweigerlich in Gewalt aus. Es gab vermutlich zwei Gründe, warum die Camorra sich einmischte. Erstens hatten ihre Bosse ein wirtschaftliches Interesse an der Verlängerung des Notstands. Und zweitens wollten sie sich als Volkstribune aufspielen, als Verfechter des Sankt-Florians-Prinzips. Der größte Ärger konzentrierte sich auf ein Depot unweit von Marano, dem Hauptsitz des Nuvoletta-Clans. Eine Flagge wurde über der Ortseinfahrt gehisst: »Der Staat ist abwesend, aber wir sind hier.« Man brauchte niemandem zu sagen, auf wen dieses »wir« sich bezog.
Mondragone, die Hauptstadt des Büffelmozzarellas an der nördlichen Küste Kampaniens, war der Standort eines Müllentsorgungsunternehmens mit Namen Eco 4 , das im Zentrum einer tiefgreifenden Unterwanderung des Entsorgungszyklus durch die Clans stand: Ein kriminelles Geflecht aus Wählerstimmen, Arbeitsstellen, überhöhten Rechnungen, manipulierten Verträgen und Schmiergeldern verband Politiker, Verwalter, Unternehmer und Camorristi. Im Sommer 2007 begann einer der Direktoren von Eco 4 , die in den Fall verwickelt waren, Michele Orsi, den Richtern Beweismittel zu liefern. Im Mai des darauffolgenden Jahres ging er in Begleitung seiner kleinen Tochter aus dem Haus, um eine Flasche Coca-Cola zu kaufen, und wurde mit 18 Schüssen getötet. Andere Zeugen im Eco 4 -Fall brachten einen hochrangigen Politiker im Umfeld Silvio Berlusconis ins Spiel. 2009 war Nicola Cosentino Finanzstaatssekretär und Koordinator der Partei Berlusconis in der Region Kampanien, als die Staatsanwaltschaft das Parlament ersuchte, ein Verfahren gegen ihn einleiten zu dürfen, weil er mit der Camorra im Bunde war. Berlusconis Regierungsmehrheit lehnte das Ersuchen ab. Im Jahr darauf weigerte sich das Parlament, abgehörte Telefonate als Beweismittel gegen Cosentino zuzulassen, obwohl er aufgrund eines weiteren Skandals noch im selben Jahr zurücktrat. Im Januar 2012 beschützte ihn das Parlament erneut vor der Verhaftung infolge einer Verbindung mit der Camorra. Cosentino behauptete, er sei das Opfer »aggressiver Medien, Politiker und Richter«.
Doch der bei weitem beunruhigendste Aspekt an den kriminellen Machenschaften der Ökomafia in Kampanien ist nicht unmittelbar mit dem Müllnotstand und der Ökoballen-Affäre verbunden. Anfang der 1990 er Jahre kam allmählich ans Licht, dass Camorristi Millionen Tonnen Giftmüll aus Krankenhäusern, der Stahlindustrie, der Farbenindustrie, der Düngemittelindustrie, der Lederverarbeitung und der Kunststoffindustrie illegal entsorgt hatten. Man fand toxische Substanzen wie Asbest, Arsen, Blei und Kadmium. Das Bild wurde von einer Ermittlung bestätigt, die zwischen 1999 und 2003 als Operation Kassiopeia bekannt wurde. Obwohl die Lkws der Camorra den Müll transportierten und in Kampanien deponierten, waren sie nur der Endpunkt eines landesweiten Systems. Abgesandte der Mafiaentsorgungsunternehmen durchreisten Nord- und Mittelitalien und boten den Firmen an, deren gefährlichen Müll zu einem Zehntel der Kosten verschwinden zu lassen, die bei einer legalen Entsorgung angefallen wären. Kooperative Politiker und Bürokraten entlang der Giftmüllroute sorgten dafür, dass die Papiere in Ordnung waren. Die Camorristi deponierten den Müll auf ihrem Territorium, teils in gewöhnlichen städtischen Müllhalden, teils in Straßengräben. Ein Teil des Giftmülls wurde mit anderen Stoffen vermischt und »kompostiert«. Oftmals wurde der Müll auf eine Schicht Autoreifen gebreitet und verbrannt. So wurden Beweismittel vernichtet. Sowohl die
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