Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Luft als auch der Boden und das Grundwasser wurden dadurch vergiftet. Die Camorra deponierte den toxischen Müll auch in den Steinbrüchen der hügeligeren Landstriche der Terra di Lavoro, wo sie den Sand und Kies für ihre Betonfabriken bezog. Viele dieser Steinbrüche waren ebenfalls illegal. 2005 beschrieb ein Richter das Verschwinden ganzer Berge als »Meteoriten-Impakt«. Der Schaden der Verbrechen der Ökomafia potenzierte sich auf diese Weise.
Die Gewinne aus diesem Geschäft waren enorm. Ein Giftmüllhändler, der zum Kronzeugen wurde, präsentierte ein Immobilienportfolio, das 45 Wohnungen und ein Hotel umfasste, zu einem Gesamtwert von 50 Millionen Euro.
Viele Angeklagte im Verfahren, das der Operation Kassiopeia folgte, legten ein Geständnis ab. Trotzdem beschloss im September 2011 ein Richter, den Fall nicht weiterzuverfolgen, weil übermäßige Verzögerungen dazu führten, dass die Verbrechen unweigerlich unter Italiens Verjährungsfrist fallen würden: Nach italienischem Recht lag das Ganze schon viel zu lange zurück, um Schuldsprüche zu erwirken. Für den Giftmüll, der in der Terra di Lavoro abgeladen wurde, gelten solche zeitlichen Beschränkungen nicht. Generationen von Bürgern, die auf diesem verschmutzten Land leben, werden den Preis bezahlen für das »italienische Tschernobyl«, wie der Richter, der die Kassiopeia-Ermittlungen leitete, es bezeichnete.
Gomorrah
Der Höhepunkt der Müllkrise 2007 und 2008 in Neapel fiel mit dem verblüffenden Erfolg eines Buches zusammen, das die Camorra auf der ganzen Welt bekannter machte, als sie es seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gewesen war.
Gomorrah
(der Titel ist ein Wortspiel) erschien 2006 und wurde von einem kaum bekannten 26 -jährigen Schriftsteller und Journalisten namens Roberto Saviano geschrieben.
Vor
Gomorrah
war die zersplitterte Camorra außerhalb Kampaniens wieder zum Gegenstand verdutzter Gleichgültigkeit geworden. Reporter, die die Öffentlichkeit über Gewaltexzesse wie die Fehde von Scampia informieren wollten, erkannten, dass die Gesichter, Namen und Unterweltverbindungen die Toleranzgrenze des hartnäckigsten Laienlesers bei weitem überschritten.
Auf den ersten Blick scheint
Gomorrah
wenig geeignet, um die öffentliche Sorge um das offenkundige Chaos in Kampanien neu zu entfachen. Es ist ein Hybrid: Eine Folge beunruhigender Essays, teils Autobiographie, teils verdeckte Reportage, teils politische Polemik, teils Geschichte. So unwiderstehlich sie im Ganzen sind, hält doch keine dieser Zutaten das Buch
Gomorrah
zusammen. Das Geheimnis seiner unbarmherzigen Faszination für italienische Leser liegt in der Art und Weise, wie der Autor seine eigenen Eindrücke in den Mittelpunkt der Geschichte stellt. Er liefert ein kaleidoskopisches und unmittelbar persönliches Zeugnis, tief verwurzelt in Wut und Abscheu. Er gibt sich nicht damit zufrieden, die Löcher zu betrachten, die eine AK - 47 in kugelsicheres Glas geschlagen hat; er fühlt sich auf morbide Weise bemüßigt, den Finger an den Kanten zu reiben, bis er blutet. Er spürt den säuerlichen Geschmack im Rachen, als im Zuge der Fehde von Scampia ein weiterer Teenager-Gangster auf der Straße aus einer Lache getrockneten Blutes in einen Leichensack geschaufelt wird. Zorn greift nach seiner Brust wie Asthma, als der soundsovielte Arbeiter auf einer illegalen Baustelle stirbt. Der Boden scheint unter ihm zu gären, als er eine Landschaft erkundet, die seit Jahrzehnten durch illegal abgeladene Karzinogene verseucht ist.
Saviano hatte alles Recht der Welt, bei seiner Schilderung der Camorra (»des Systems«, wie er sie nennt) seine eigenen Gefühle in dieser Weise in den Vordergrund zu stellen. Er stammt schließlich aus Casal di Principe, im berüchtigten Herzen der Terra di Lavoro. Nach der Ermordung von Carmine Alfieri 1992 wurde der örtliche Clan, die
casalesi
, die beherrschende Kraft innerhalb der Camorra. Die Kerngruppe der
casalesi
war ein überaus tüchtiges Killerteam, das in den 1980 er Jahren gegen die
Nuova Camorra Organizzata
eingesetzt worden war – die »Israelis« gegen die »Araber« des »Professors«. Die Gruppe entwickelte sich zu einer Föderation aus vier kriminellen Familien. 1988 beseitigten die
casalesi
ihren eigenen Boss, Antonio Bardellino. Nach einem blutigen Bürgerkrieg konnten sie seine Beton- und Kokaininteressen übernehmen. Sie stiegen auch in den landwirtschaftlichen Betrug und die Produktion von Büffelmozzarella ein.
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