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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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dass die belastende Aussage gegen Salvatore Gambino lediglich Teil eines undurchschaubaren Austausches von Gefälligkeiten zwischen dem Mafiaboss und dem Zug-Kommandanten war. Sangiorgi konnte nun auch das Militär auf die lange Liste der Organisationen setzen, die von der Mafia der Conca d’Oro unterwandert worden waren.
    Taktvoll, in der Tat.
    Inspektor Sangiorgi stand nun vor der heiklen Pflicht, sein Wissen an die Richter weiterzugeben. Wenn er den Fall Gambino als Mafiakomplott entlarvte, lief er Gefahr, innerhalb des Justizpalastes auf einige sehr gewichtige Zehen zu treten, denn der »Brudermord« sollte demnächst vor dem Schwurgericht verhandelt werden.
    Als Sangiorgi sich an die Richter wandte, erhielt er eine beruhigende Antwort: Er habe recht daran getan, sie in Kenntnis zu setzen, ließen sie ihn wissen und forderten ihn auf, ihnen einen vollständigen Bericht vorzulegen. Unterdessen wurde der Brudermord-Fall immer wieder vertagt, weil der Soldat, der Salvatore Gambino als den Träger des Strohhuts erkannt haben wollte, es zweimal versäumt hatte, in den Zeugenstand zu treten.
    Während dieser Verzögerung schlug das politische Klima um.
    Im März 1876 fiel die Rechte aus der Regierung heraus, und das erste linke Parlament, an dem auch sizilianische Politiker teilhatten, trat in Rom seine Legislaturperiode an. Ein neuer Präfekt wurde nach Palermo entsandt, und das altgediente Personal der Rechten wurde rasch seiner Pflichten enthoben, ungeachtet seiner Kompetenz und Ehrlichkeit. Der Polizeichef, unter dem Sangiorgi gedient hatte, wurde in die Toskana versetzt.
    Sangiorgi stand jetzt allein da: Er hatte energischer als jeder andere Beamte in Sizilien an vorderster Front gegen die Mafia gekämpft und sogar deren geheimes Initiationsritual offenbart. Ohne die Rückendeckung seiner Vorgesetzten stand nicht nur seine Karriere, sondern vermutlich auch sein Leben auf dem Spiel. Die korrupten Elemente innerhalb der Palermer Polizei rotteten sich bereits gegen ihn zusammen und träufelten dem neuen Präfekten Gift ins Ohr. Im Juli 1876 sandte der Präfekt ein eiliges Telegramm an den Innenminister.
    »Ich bitte Sie, schaffen Sie mir vor allem den jungen Sangiorgi vom Hals. Er ist tüchtig, aber ein Intrigant und Klatschmaul. Er prahlt damit, Gönner am Ministerium und im Parlament zu haben. Leute, die mir die Zeit stehlen, sind mir lieber als solche Streber.«
    Sangiorgi reichte um seine Versetzung ein, die sogleich bewilligt wurde: Im August 1876 trat er einen Posten in Syrakus an, der am wenigsten von Verbrechen verseuchten Provinz Siziliens, am entgegengesetzten Ende der Insel. Die Mafia war über diese Entwicklung informiert worden und hocherfreut: Noch bevor die Versetzung bestätigt worden war, wurde die Neuigkeit vom
Amico del Popolo
, dessen Herausgeber mit »dem Schwarzen« in dessen angemieteter Villa gesehen worden war, in der Piana dei Colli ausposaunt. Die Gerüchteküche der Mafia verbreitete zudem die Falschmeldung, Sangiorgi sei aus disziplinarischen Gründen versetzt worden.
    Während Sangiorgi sich in Syrakus aufhielt, schleppte der Gambino-Fall sich von 1876 bis 1877 in oberflächlichen Anhörungen dahin. Der alte Gambino erhielt Gelegenheit, seine Version der Geschichte den Richtern vorzutragen. Doch das neue Klima in Palermo kehrte sich allmählich gegen Sangiorgi. Einige der Zeugen, die er befragt hatte, verloren das Vertrauen und änderten ihre Aussagen. Nichts wurde unternommen, um nachzuprüfen, ob es sich bei dem Träger des Strohhuts, den der Soldat am Tatort gesehen haben wollte, tatsächlich um Salvatore Gambino handelte. Korrupte Polizisten, die Sangiorgi aufgrund ihrer Unfähigkeit oder wegen ihrer Mafiakontakte entlassen hatte, schienen plötzlich wieder ein Wörtchen mitzureden. Wie Sangiorgi wehmütig bemerkte:
    »Wäre ich ein Fatalist, müsste ich mit Bedauern zugeben, dass ein böser Geist, ein geheimnisvoller, verderblicher Einfluss sich sämtlicher Schritte bemächtigte, die ich unternahm, um die Schlussfolgerungen zu prüfen, die ich aus der Zeugenaussage des alten Gambino gezogen habe.«
    Inspektor Sangiorgi sollte noch erleben, wie verderblich der Einfluss dieses »bösen Geistes« tatsächlich sein konnte.
    Weitere Monate vergingen, und wieder änderte sich das politische Klima um Sangiorgi. Die Linke erkannte, dass es nicht so einfach war, in Sizilien dem Recht Geltung zu verschaffen, wie es in den vergangenen 15  Jahren die lärmenden Proteste der Sizilianer gegen

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