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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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auf der Seite der
Gazzetta di Palermo
abgedruckt war. Da schlug ihm vor Schreck das Herz bis zum Hals.
    »Das ehrenwerte Gericht äußerte sodann ernste Bedenken gegen das Verhalten eines gewissen Polizeiinspektors, Ermanno Sangiorgi. Weil dieser die Stellung, die er noch immer unverdientermaßen innehat, ausnutzen wollte, versuchte Sangiorgi die Gerechtigkeit vom Kurs abzubringen, und bestritt, dass Salvatore Gambino das Verbrechen begangen hatte. Stattdessen beschuldigte er irgendeinen Menschen, der sich ›der Schwarze‹ Cusimano nannte.
    Es ist nicht das erste Mal, dass Polizeibeamte sich schützend vor die Mafia stellen. Sie tun sich groß damit, irgendeine andere, hypothetische Mafia niederschlagen zu wollen, und denken sich Ermittlungen aus, die in keiner Weise auf Tatsachen gründen.
    Sangiorgi, so der Staatsanwalt, habe das Gericht getäuscht, gefoppt und hinters Licht geführt, indem er die Schuld auf einen anderen schob. Am Vorabend der ersten Anhörungen hatte Sangiorgi überheblich eine Stellungnahme an den Oberstaatsanwalt gesandt, die besagte, dass der Angeklagte keine Schuld am Tode seines Bruders trage.
    Sangiorgis ehrloses Gebaren, so der Staatsanwalt, sei von seinem Wunsche getrieben, Calogero Gambino die schmutzigen Gefälligkeiten zu vergelten, die dieser der Polizei erwiesen habe.
    So enthielt die wortgewaltige Rede des Staatsanwalts vor Gericht zwei getrennte Anschuldigungen: die erste gegen Salvatore Gambino, und die zweite gegen Ermanno Sangiorgi, der als Beschützer der Maffia auftrat. Er stellt Waffenscheine aus für Männer, die bereits aktenkundig sind, und entlässt gefährliche Kriminelle aus der polizeilichen Überwachung.
    Jedes Polizeiwesen, das von Männern wie Sangiorgi vertreten wird, ist zu bedauern. Dies ist staatlich sanktioniertes Banditentum – nicht mehr und nicht weniger. Die Polizeimaffia hat sich über das Gesetz gestellt.
    Der vorsitzende Richter griff die ernsten Worte des Staatsanwalts auf, um seine beredte Zusammenfassung des Falls folgendem Schlusse zuzuführen: Falls die Geschworenen dem Angeklagten ein ›Nicht schuldig‹ zubilligen, so ist dies, als erhielte dieser korrupte Polizeibeamte einen Verdienstorden für die schmutzigen Gefälligkeiten Calogero Gambinos.«
    Ehrlos. Korrupt. Betrüger. Vermittler schmutziger Gefälligkeiten. Beschützer der Mafia. Es gab enervierende Parallelen bei den Vorwürfen gegen Sangiorgi, als wollten sich das Gericht und die
Gazzetta di Palermo
lustig machen über seinen »offenen Kampf« gegen die Mafia. Er habe sich ausgerechnet in jene zwielichtigen Machenschaften verstrickt, wurde behauptet, die er abgeschafft habe, als er im Bezirk Castel Molo seinen Dienst antrat. Er sei selbst einer jener doppelzüngigen Polizisten, die er aus seiner Umgebung verbannt habe.
    Polizisten wie Albanese und Ferro hatten Mafiosi benutzt, indem sie bei den internen Machtkämpfen der Unterwelt mit den Siegern paktierten; sie hatten versucht, das Verbrechen mit Hilfe der siegreichen Mafiabosse in den Griff zu bekommen. Was Sangiorgi mit dem alten Gambino beabsichtigt hatte, war etwas anderes: Er hatte sich der Verlierer der Mafia angenommen, um die Autorität der Sekte an der Basis anzugreifen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Ansätzen war ebenso offenkundig wie der Unterschied zwischen Richtig und Falsch.
    Gemeinsam jedoch hatten die Justiz und die
Gazzetta di Palermo
jede Unterscheidung ausgelöscht. Der neue Bösewicht, Inspektor Sangiorgi, glich nun jedem anderen intriganten Polizisten aus dem Norden. Unterdessen wurde die wahre Mafia, die Mafia »des Schwarzen« Cusimano, des dichtenden Bosses Giammona, die von Salvatore Licata und seinen Söhnen, deren blutüberströmte Opfer Sangiorgi unter den Zitronenbäumen hatte liegen sehen, als »hypothetische Maffia« abgetan, als Vorwand und Fiktion, ersonnen von einem Polizisten, der nach Macht und Einfluss gierte.
    Inspektor Ermanno Sangiorgi steckte in ernsthaften Schwierigkeiten.
    Die kränkenden Vorwürfe im Palermer Schwurgericht gegen ihn kamen unweigerlich seinen Vorgesetzten zu Ohren. Depeschen wurden ordnungsgemäß versandt, Berichte angefordert und verglichen: Der Fall Gambino wurde zum Fall Sangiorgi. Der Innenminister bat den Justizminister, eine Untersuchung einzuleiten. Am 12 . Oktober 1877 fällte der Justizminister sein Urteil: »Die Anschuldigungen gegen Inspektor Sangiorgi treffen leider zu.« Sangiorgi drohte eine schmachvolle Entlassung und möglicherweise eine

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