Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
in die Zukunft auszudehnen. Patriarchen der Mafia bildeten ihre Familien, um den besonderen Bedürfnissen ihrer Branche in einer Weise gerecht zu werden, die sie in ihrem Verhalten grundlegend von anderen Sizilianern unterschied. (Im Gegensatz zum gängigen Klischee war zur damaligen Zeit auf Sizilien die Kernfamilie, nicht die Großfamilie, an der Tagesordnung.)
Die Geschichte Calogero Gambinos zeigt uns, dass der Unterschied zwischen den frühen Camorristi und den frühen Mafiosi, was Frauen und die Ehe anbelangte, augenfällig und sehr wichtig war. Mafiosi benutzten ihre Ehefrauen und Töchter als politische Schachfiguren und mehrten auf diese Weise ihren illegalen Profit zum Vermögen. Camorristi dagegen verkehrten mit Prostituierten und gaben das Geld aus, sowie sie es gestohlen hatten.
Von Marc Monnier (wieder einmal ist der Schweizer Hotelier eine der aufschlussreichsten Quellen über die Ehrenwerte Gesellschaft in Neapel) erfahren wir, dass die Ehefrau des durchschnittlichen Camorrista eine »eigenständige Macht« war und somit befugt, Schutzgelder zu kassieren.
»Selbst die härtesten unter den einfachen Leuten pflegten vor den Unterröcken dieser weiblichen Ganoven zu zittern. Ein jeder wusste, dass ihre Männer irgendwann aus dem Gefängnis entlassen würden, um dann mit dem Knüttel in der Faust Zahlungsunwillige aufzusuchen und die ausstehenden Schulden einzutreiben.«
Solche Camorriste sorgten auch dafür, dass sich ihre Kinder »von klein auf Respekt verschafften«. Die Mitglieder der Camorra waren demnach ebenfalls bemüht, ihre Frauen einzusetzen und für die Zukunft vorzusorgen. Allerdings gingen sie dabei nicht so strategisch vor. Weder diente ihnen die Heirat als Werkzeug zum Aufbau einer Dynastie, noch schützten sie ihr Familienleben vor den potentiell destabilisierenden Auswirkungen eines Kontakts mit der Prostitution.
Die frühen Verbrecherbosse in Neapel hatten fast ausnahmslos Zuhälterei in ihrem Strafregister stehen, wogegen in den Biographien der ersten sizilianischen Mafiabosse Einkünfte aus diesem Gewerbe bemerkenswerterweise fehlen. Natürlich hatte auch Palermo seine Zuhälter, unter dem abstoßenden Spitznamen
ricottari
bekannt – wörtlich »Hersteller von Ricotta-Käse«. Doch Turi Miceli, Don Antonino Giammona und die anderen Mafiabosse der 1860 er und 1870 er Jahre hatten mit den
ricottari
nichts zu schaffen. In der Innenstadt von Palermo sah man, genau wie in Neapel, viele Prostituierte und ihre Zuhälter, Letztere mit den hässlichen geschlängelten Gesichtsnarben des horizontalen Gewerbes. Doch außerhalb von Palermo, in den Zitronengärten, in denen die Mafia herrschte, war der
sfregio
, die entstellende Gesichtsnarbe, so gut wie unbekannt.
Die heutige Cosa Nostra verbietet ihren Mitgliedern die Zuhälterei, um zu gewährleisten, wie der ermordete Richter und Mafiajäger Giovanni Falcone erklärte, dass ihre Frauen »im eigenen sozialen Umfeld nicht erniedrigt würden«. Eine unzuverlässige Frau als Trägerin grausiger Familiengeheimnisse bedeute eine große Gefahr für die Organisation.
So war es vermutlich schon immer: Die sizilianische Mafia der 1860 er Jahre mochte Frauen innerhalb der Familie misshandelt und missbraucht haben, hütete sich aber, sie öffentlich zu erniedrigen – wie etwa durch eine Verstrickung mit der Prostitution –, weil sie sie brauchte; die Frauen mussten dichthalten, Söhne gebären und diese Söhne im Sinne der Ehre erziehen.
Es ist bemerkenswert, dass auf Sizilien keine einzige Frau so viel Berühmtheit und Macht erlangte wie einige Frauen im Umfeld der frühen Camorra:
la Sangiovannara
und ihre Bande bewaffneter Weiber beispielsweise, oder die Puffmütter, die den Titel
matrona annurrata
trugen – »verehrte Madame«. Offenbar übten die Frauen der Mafia ihre Macht eher im Verborgenen aus, weil sie in ihrer häuslichen Rolle wichtiger waren für die Organisation. Die eiserne, strategische Unterjochung der Frauen durch die Mafia ist ein wesentliches Geheimnis ihrer außerordentlichen Widerstandsfähigkeit. Eine Widerstandsfähigkeit, welche die Ehrenwerte Gesellschaft von Neapel mit ihrer beharrlichen Schwäche für kurzfristigen Profit durch Zuhälterei letztendlich nicht würde erreichen können.
Die Geschichte des alten Gambino näherte sich ihrem Ende. Die »Seelenverwandtschaft« zwischen den Gambinos und dem schwarzen Cusimano hatte sechs Jahre gehalten. Dann, am 17 . Dezember 1872 , waren die Gambino-Brüder in der
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